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LAMPEDUSA
Austria 2013 - 2015 / HD - DCP / black and white / 1:1,78 / 3.1 mono / running time: 130 min. (25f/s)
cast: Giuliana Pachner, Zakaria Mohamed Ali, Pasquale De Rubeis, Anna Matina, Awad Elkish
assistant director and producer: Maria Schreiner / assistant camera, lighting, make up: Isabella Schreiner
sound recording and mixing: Johannes Schmelzer-Ziringer
scenario, realisation, cinematography, editing: Peter Schreiner
production: Peter Schreiner Filmproduktion - echt.zeit.film
supported by The Arts Division of the Federal Chancellery of Austria - Innovative Film Austria,
Vienna City Administration, cultural department
world distribution: echtzeitfilm / sixpackfilm
IFFI, Innsbruck 2016
Award of the City of Innsbruck
winner of the
International Documentary Competition
Mirabile Dictu ICFF, Rome 2016
best director
Human District IFF, Belgrade 2016
best feature film
IFF El Ojo cojo, Madrid 2016
best feature film
FI de Cine por los Derechos Humanos, Bogota 2017
Ganadora en la
categoría “Largometraje”
best feature film
Diagonale 2015, Graz / Austria (Austrian Premiere)
International Filmfestival Rotterdam 2016 / The Netherlands (International Premiere)
International Filmfestival Innsbruck 2016 / Austria (documentary competition)
International Filmfestival Isola Cinema 2016 / Slovenia
Human District International Filmfestival 2016, Belgrade / Serbia (feature competition)
Mirabile Dictu - International Catholic Filmfestival 2016, Rome / Vatican City (final competition)
Karlovy Vary International Filmfestival 2016 / Czech Republic
A Film for Peace - International Filmfestival 2016, Udine / Italy
Indie International Film Festival Belo Horizonte 2016, Sao Paulo / Brazil
Cinemigrante International Filmfestival 2016, Buenos Aires / Argentina (as part of Focus Peter Schreiner)
Sose International Filmfestival 2016, Yerewan / Armenia
Festival International du Nouveau Cinéma 2016, Montreal / Canada
International Filmfestival Carthago 2016, Tunis / Tunisia (as part of Cinema of the World)
Scandinavian International Filmfestival 2016, Helsinki / Finland
El Ojo Cojo International Film Festival 2016, Madrid / Spain
Eindhoven Film Festival 2016 / The Netherlands
European International Film Festival Mainstream&Underground 2016, Moscow / Russian Federation
This Human World International Film Festival 2016, Vienna / Austria
Wolves Independent International Film Awards 2016, Vilnius / Lithuania (finalist)
Euro Fest 2016, European International Film Festival, St. Petersburg / Russian Federation
Das Kino, 'Salty Docs' 2017, Salzburg / Austria
Stadtkino im Künstlerhaus 2017, Vienna / Austria
7th Philosophical Film Festival 2017,
Skopje / Macedonia
Eunic-Project: Frontiers and their States 2017, Zagreb, Rijeka / Croatia
Festival Internacional de Cine por los Derechos Humanos 2017, Bogota / Colombia
Cinemigrante International Filmfestival
2017, Barcelona / Spain
Sede Asociacion Audiovisual Ayahue 2017, Pichiquillaipe / Spain
Cinemigrante in Canterbury 2017/ Great Britain
la 2ª Llega de CineMigrante a Venezia 2017 / Italy
Festival Internacional de Cine de Autor 2017, Guadalajara / Mexico (nominated for Best Doc. Feature Film)
San Mauro Torinese International Film Festival 2018 / Italy (Semi-Finalist)
Film Archiv Austria Retrospektive 2022 / Vienna, Austria
Eine Frau und ein Mann
auf der Mittelmeerinsel Lampedusa. Zakaria, Ende zwanzig, aus Somalia, schon vor Jahren auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg mit einem kleinen Boot unter
Lebensgefahr auf die Insel gekommen - und Giulia, Mitte fünfzig, aus einem Bergort in Norditalien. Vor einem Jahrzehnt hat sie, auf der Flucht aus tiefen persönlichen Krisen, als
reiche Touristin die Insel bereist, war in der ersten Nacht ausgeraubt und daraufhin von einem ortsansässigen älteren Paar aufgenommen und gepflegt worden. Beide sind auf die
Insel wiedergekehrt, Giulia, persönlich gefestigt und frei von ihrer einstmaligen Alkoholabhängigkeit, aber geschüttelt von einer bedrohlichen Erkrankung, und Zakaria als,
mittlerweile in Rom ansässiger, Filmer und Journalist.
A woman, a man.
The island of Lampedusa, where their escape routes intersect. Zakaria, in
his late twenties, from Somalia, who has risked his life coming to the island on a small boat when fleeing civil war in
his country. Giulia, in her mid-fifties, a tourist from Northern Italy, on the run from deep
personal crises. Both have returned to the island. Giulia, recovered but facing a life-threatening illness, and Zakaria, as
a journalist now living in Rome.
In subtle psychological dimensions, the encounter of a young Somali refugee and an elderly Italian woman unfolds
experiences of flight, contemplating existential questions of life-and-death and our political reality. Lampedusa becomes a transitory place of memory, monochrome landscapes, bodies and
fragmentary conversations.
(This Human World Int. Film Festival, Vienna)
Zwei Menschen kehren auf die Mittelmeerinsel Lampedusa zurück.
Hier hat Giulia eine persönliche Krise überwunden, hierher flüchtete Zakaria vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat Somalia. Von ihnen erzählt Schreiner, von Begegnungen, von innersten Gedanken, existenziellen Fragen und Ängsten, von der Vergänglichkeit. Es ist eine Sinnsuche, die fragmentarisch bleibt und sich zwischen der Erinnerung und dem Jetzt bewegt. Die Vergangenheit drängt sich in den Monologen und Gesprächen in die Gegenwart des filmischen Abbildes. Sie hat sich sichtbar eingeschrieben in die Haut, die Gesichter, die Körper, die Schreiner in Nahaufnahmen erforscht, sodass sie beinahe spürbar werden und doch hoch artifiziell bleiben.
Die strenge, sinnliche Schönheit dieser Bilder, das Spiel mit der Abstraktion von brillantem Schwarzweiß, von Licht und Schatten, die langen, ruhigen Einstellungen, die Konzentration auf Details, all das schafft den Raum für eine intuitive, konzentrierte Wahrnehmung, einen Raum der Begegnung.
Der Ort dieser Begegnung ist konkret, doch die karge, spröde Landschaft Lampedusas wird zu einer Art von Bühne und Projektion für die Figuren, ein abstrakter Raum. So wie auch für die meisten von uns diese Insel nur als Vorstellung existiert, als Ort, an dem sich politisches Handeln manifestiert und eine Krise – die Beziehung des alten Europa und des jungen Afrika, die Dynamik von Widerstand und faszinierter Anziehung, von Innen und Außen.
Schreiner entwirft Lampedusa als universelle innere Erzählung, als intensiven Erfahrungs- und Assoziationsraum, oszillierend zwischen dokumentarischen und fiktionalen Elementen.
Befreit von der Notwendigkeit sich zu erklären wird der Film selbst zur Suche und zu einer Befragung – der Figuren, der filmischen Form wie auch unserer gegenwärtigen Realitäten.
Two people return to the Mediterranean island of Lampedusa.
Giulia overcame a personal crisis here, Zakaria fled here from the civil war in his homeland of Somalia.
Schreiner tells about them, about innermost thoughts, existential questions and fears, about transiency: A search for meaning that remains fragmentary, moving between memory and now. The past presses into the monologues and conversations in the present of the cinematic image. It has written itself visibly into the skin, faces, and bodies that Schreiner explores in close ups, which become practically perceptible, yet nonetheless remain highly artificial.
The strict, sensual beauty of these images, the play with abstraction of brilliant black-and-white, of light and shadow, the long, calm takes, the concentration on details all create the space for an intuitive, concentrated awareness, a space of encounter.
The site of this encounter is concrete, but for the characters, the sparse, brittle landscape of Lampedusa turns into a stage of sorts, and a projection; an abstract space. Just as this island exists as a mere idea for most of us, as a place where political action becomes manifest, and also a crisis—the relationship of old Europe and young Africa, the dynamics of resistance and mesmerized attraction, of inside and outside.
Schreiner drafts Lampedusa as a universal, internal narrative, as intense space of experience and association, oscillating between documentary and fictional elements.
Freed of the necessity to explain, the film itself becomes a search and interrogation—of the characters, cinematic form, and our own present realities.
(Barbara Pichler)
mit geschlossenen Augen sehen
Das Meer von oben, bildfüllend, ist das erste Bild in Peter Schreiners Film LAMPEDUSA. Jeder noch so kleine
Bildausschnitt, die allerkleinsten Partikel sind in ständiger Bewegung. Zugleich strahlt das Bild eine große Ruhe aus. Die zweite Einstellung zeigt eine im Bett liegende, vielleicht schlafende Frau. Ihre Lider beginnen zu zittern, dann öffnet sie die Augen. Zwei Bilder, die das Wesen des Films - gemeint ist der Film als Medium - ausmachen. Tonspur: Wasser, das Ticken einer Uhr, dann Herztöne. Kurz danach steht die Frau in einer Küche, in der jeder Gegenstand gelebte Erinnerungen ausstrahlt, ein Mann und eine Frau sitzen schweigend am Küchentisch, die Frau vom Anfang weiß nicht, wie sie dahin gekommen ist.
Darum wird es gehen: um die Suche, die Suche nach dem Selbst. Um die Frage, wie man so geworden ist, wie man ist, und ob die Angst vor dem Leben und dem Tod immer bleibt, ob ein Neuanfang möglich ist...und um noch viele andere Fragen, immer um ,,Lampedusa".
Es gibt weniger Antworten als Fragen.
Der Film ist von einer überwältigenden Schönheit, voller Intensität, Tiefe und Zärtichkeit. Den Film anzuschauen, kann sich zu einer Seh-Sucht nach genau solchen Bildern entwickeln. Da sind die fließenden Übergänge der Grautöne vom tiefen Schwarz zum Weiß, Schatten- und Lichtnuancen, die Lichtkronen auf dem Wasser, vielfache Brechungen und bis in die Bildtiefe überlagerte Rahmen. LAMPEDUSA ist ein Schwarz-Weiß-Film. Eine erweiterte Farbpalette, ob digital oder analog, würde die labilen Grenzlinien der Konturen, das Schwebende, die Transparenz der Bilder verfestigen. Die Bilder beweisen, dass ein solcher Umgang mit der Welt nur im Film möglich ist. Der Versuch, auch nur ein einziges Bild mit Worten zu beschreiben, muss scheitern, selbst wenn es mit größter Präzision und Geduld geschieht.
Keine Bildbeschreibungen also, nur Eindrücke.
Die Menschen bewegen sich nicht oder kaum, sie werden auch nicht laut; dafür bewegt die Luft Haare, Palmfächer und Wasseroberflächen. Der Gedankenaustausch, der langsam und mit großen Pausen geschieht, ist zu Beginn irritierend, man muss sich erst einhören. Wer redet denn so? Bis man nachvollzieht, dass die Worte ins Herz der Bilder gehen und dass diese Fragen gestellt werden müssen, dass sie trotz ihrer vermeintlichen Abgehobenheit auch das aktuellste Zeitgeschehen betreffen. ,,Lampedusa".
Fünf Personen spielen sich und eine Rolle. Die Frau im Film, Giuliana Pachner, ist ein Ereignis. Sie ist schön, diese Frau, alterslos. Jede Falte in ihrem Gesicht könnte eine Narbe sein. Dann ist sie auch wieder sehr alt oder elfenhaft jung, androgyn. Was muss diese Frau, diese reale Frau - nicht ihre Maske oder Schauspielkunst - erlebt und erlitten haben? Sie sagt: ,,Erst habe ich mein Gesicht verloren, dann meine Brüder und zuletzt meine Hand."
Peter Schreiners Film BELLAVISTA von 2006 ist eine Aufarbeitung der Biografie von Giuliana Pachner.
Schon damals war man tief beeindruckt von der Leidensfähigkeit und Stärke dieser Frau.
Da ist ein junger Mann, der ehemalige Flüchtling Zakaria Mohamed Ali, der Journalist, der vor vielen Jahren aus seiner Heimat Somalia geflohen ist. Er geht durch den Film wie ein Seher, eine fast mythische Gestalt. Er ist der Einzige, der sich in seinen Erinnerungen und ausgesprochenen Gedanken direkt mit den aktuellen Ereignissen, mit Fragen der politischen Verantwortung, mit dem Schmerz über den Verlust seiner Kindheit in einer zerstörten Heimat, mit der Trauer über den Tod geliebter Menschen und mit der Hoffnung auf eine Veränderung des Einzelnen, nicht der Gesellschaft, auseinandersetzt. Er zeigt der Frau, dass ein Neuanfang des Lebens möglich ist. ,,Deine Augen sehen weit", sagt sie zu ihm. Sehr oft haben die Menschen die Augen geschlossen, oft scheinen sie zu schlafen. Manchmal liegen sie auf dem Rücken mit über dem Leib verschränkten Händen wie Gestorbene. Geschlossene Augen lassen die Außenwelt nicht herein, aber sie öffnen Gedankenräume im Kopf. Jeder Mensch, der die Augen geschlossen hat, ist schön. Da ist eine Szene, in der Zakaria/Zak beim Sprechen fast einschläft.
Er spricht von den Erinnerungen an seine Kindheit, seine Freunde, die Kämpfe und Ruinen seiner Heimatstadt Mogadischu. Sein Kopf sinkt immer wieder nach unten, dann bewegen sich seine Lippen und bilden schlaftrunkene Worte. So stelle ich mir ,,dreamlines" vor.
Diesen Film möchte ich mit geschlossenen Augen sehen.
(Birgit Flos, aus "Zweimal 'Lampedusa!'", Kolik-Film)
wie das wogende Meer
Magische Eindrücke, bei allem Ringen. Schon diese ersten Bilder vom Meer und von Giulianas Gesicht haben mich eingesogen, da pocht etwas, dass mich an diese unverstellt malerische Magie der Schwarzweiß-Bilder in Stummfilmen erinnert, die etwas Physisches, Direktes aber auch Unergründliches haben, und was dem Kino lange verloren schien, aber hier (und sonst nur bei Lav Diaz) ist es jetzt aus dem Digitalen überraschend zurückgekehrt. Ich glaube, es hat etwas mit der Haltung zu den Bildern zu tun, einer gewissen Demut, vielleicht auch dem Wissen, dass man darum kämpfen muss, ohne etwas zu bezwingen, aber genau erklären kann ich es gar nicht! Der Film fühlt sich für mich lichter an als die letzten, nicht nur weil das Licht vor Ort so besonders ist, hellere Abstufungen zu kennen scheint, die dem Harschen entgegenwirken, in den (Seelen)-Landschaften: Die Landschaften, das Meer, die Gesichter - etwas hat sich eingeschrieben, die Spuren der Vergangenheit in der Gegenwart. Genau das, worum es auch für die Figuren immer wieder geht: Erinnerung versus das Leben im Jetzt - und wie man aus Vergangenheit und Gegenwart eine Zukunft formt. Sehr bewegend und auch aufhellend finde ich den konstanten Impetus, politisch, philosophisch und prinzipiell, dass man weiterkämpft, in dieser Zeit der Kriege und der (nach westlicher Herrschermacht auf-)geteilten Welt - bei diesem Film kann niemand mehr behaupten, es ginge um einen Rückzug ins Innere. Im Gegenteil, er zeigt, wie die notwendige Änderung in der Außenwelt ohne Änderungen innen nicht möglich sind. Das ist ja ein Kernproblem unserer sich selbst entfremdeten Welt heute, dass dieses Verhältnis völlig verdreht ist. Und wie sich das im Gewebe des Films äußert! Im Aufgreifen der Themen, in den Mono- und Dialogen, aber vor allem in den Bildern - gestrandete Leben, Weggeworfen sein, umfehdet (dieses Gefühl für einen Wind, der nicht immer stark, aber der beständig ist, habe ich so noch nie im Kino gesehen), das Ineinandergreifen von Verzweiflung und Hoffnung, dabei das Insistieren auf die Notwendigkeit des Muts. Überhaupt ist der Fluss des Films ganz hypnotisch, die fein austarierte Pendelbewegung zwischen Einsamkeit/Reflexion und Gemeinsamkeit/Aktion, auch da wie das wogende Meer.
(Christoph Huber, Österreichisches Filmmuseum)
Reflektion der Realität
Es beginnt mit einem treibenden Top-Shot
auf den Ozean, der im stilisierten Schwarz-Weiß von Peter Schreiner immer wieder von Licht berührt wird. Erst glauben wir uns in einer statischen Einstellung zu befinden, aber nach und nach rückt
eine Felsformation ins Bild, die die scheinbare Unbeweglichkeit als Schwenk entlarvt. Ins Bild rückt die italienische, titelgebende Insel Lampedusa. Dieser als Flüchtlingsort bekannte Flecken
Erde dient dem radikalen Kunstkino von Schreiner trotz oder wegen seiner politischen Aufladung als traumhafter Hintergrund für eine filmische Sinnsuche über das Sterben, das Leiden und die Angst.
Dabei gelingt dem Film sehr viel. Jedoch wird er immerzu davon bedroht, in die völlige Abstraktion zu stürzen.
Im Zentrum des Films befindet sich eine ältere Frau, deren körperlicher Verfall sich praktisch in jedes Bild von Schreiner drückt. Sie lebt bei einem Bootsbauer und seiner Frau und wird von diesen gepflegt. Statt einer klassischen Narration wählt Schreiner ein Vorgehen, das man als poetische Bilderassoziation bezeichnen könnte. So wiederholen sich verschiedene Bilder wie eine Aufnahme der verkrüppelten Hand der Frau unter Wasser. Bilder erzählen hier mehr über das Innenleben als über äußere Bewegungen. Es ist eine Erinnerung an das Leben und ein Versuch dieses zu feiern. Wunderbar sind immer jene Szenen, in denen sich die leidende Frau unter lebendigen und fröhlichen Menschen befindet wie ein kleiner Schatten einer Existenz und doch spürt man noch ein Feuer in ihr.
Ihre Sinnsuche wird zumindest ein wenig erfüllt als sie auf Zakaria trifft, einen Flüchtling aus Somalia, der fließend italienisch spricht. Seine Erzählungen wirken dokumentarisch und die Mischformen mit denen hier gearbeitet werden, erinnern durchaus an manches Werk von Straub-Huillet, wobei das elegische Treiben von Lampedusa doch eher auf Béla Tarr verweist. Trauma, Traum, Erinnerung, Hoffnung und Erfahrung verschmelzen hier zu Fragen, die zwar durch die politischen Hintergründe des Ortes und der Einzelschicksale initiiert werden, aber letztlich universell sind. Zakaria bekommt, ob real oder nicht, die Möglichkeit sich öffentlich hörbar zu machen, er wird eine Stimme für die vielen Leidenden in Lampedusa. Durch das Aufeinandertreffen zweier und mehrerer Welten entstehen große Fragen, die durch eine ethische und demokratische Form der Darstellung in ihrem Kern getroffen wird. Die Wahrheit, so scheint es, ist bei Schreiner eine Frage der großen Zusammenhänge und des Unerklärlichen.
In diesem Sinn ist Lampedusa ein Film, in dem Philosophie und innere Emotionen immer wichtiger sind als äußere Handlungen. Wir sehen abstrakte Bewegungen im echten Licht, auf realen Gesichtern. Der Existentialismus ist hier schon lange eine Idee und keine Notwendigkeit mehr. Statt dem Kartoffelschälen bei Béla Tarr gibt es eine Selbstbetrachtung im Spiegel. Fast nie sieht man eine Person einen Weg gehen. Wenn dann geschieht dies in derart brillant fotografierten Einstellungen, dass sich die kinematographische Schönheit über den zurückgelegten Weg legt. Dem Film fehlt jegliches Gefühl für Banalität und Alltäglichkeit, aus der diese großen Fragen womöglich erst entstehen können. Stattdessen warten die Figuren meist in großartigen Einstellungen auf ihre Bedeutung. Es wird ein abstrakter Raum. Schreiner ist nicht bereit durch die Realität zu gehen, um etwas über sie herauszufinden. Stattdessen verharrt er auf der Reflektion dieser Realität.
Er macht das allerdings äußerst zärtlich und behutsam mit einem außergewöhnlichen Gespür für Körper und Landschaften. Das Resultat ist ein konzentrierter Sog, der durchaus rar ist im österreichischen Kino, weil er sich eben nicht souverän und ironisch über die großen Fragen der Menschheit stellt, sondern sich mitten hinein wagt.
So entsteht eine faszinierende Spannung zwischen Gegenwart und Ewigkeit hinein in die Tiefe der Menschen und auf keinen Fall wieder hinaus.
(Patrick Holzapfel, Kino-Zeit-de.)
a glimpse into the labyrinth of internal worlds
A man and a woman. Zakaria, in his late 20s, fled Somalia, a land buffeted by Civil War, and now he’s a journalist living in Rome. Recently, 55-year-old Giulia was struggling with a personal crisis, and now she returns, carrying a life-threatening illness inside her body. The Mediterranean island of Lampedusa is where the two meet. The past and future, personal experiences, memories, the political situations in Africa and Europe. No topic is taboo for the director, and none is overlooked. The characters deliver soliloquies that allow the viewer a glimpse into the labyrinth of their internal worlds. Light, dark, day, and night, photogenic shots of the sea and island landscapes, everything associatively merging into the precise black-and-white visual component of a film that embraces both documentary and drama. The universality and timelessness of expressed thoughts blur the distinction between genders and peoples. Who are we and where are we headed? The uncompromising director brings up questions about the meaning of our existence, and, like his earlier films, his latest also points to the unclassifiable originality of his work.
(Ivana Novotná, International Filmfestival Karlovy Vary )
space for intuitive, condensed attention
On Lampedusa, Giulia had worked through her personal distress with the help of an older couple. Zakaria had fled to Lampedusa from
civil war in his native Somalia, and now works as a journalist in Rome. They both returned to this small Mediterranean island – one of the most beleaguered entry points to Fortress Europe and the
destination of many who seek refuge on the most dangerous migrant route in the world.
Years ago, the Austrian experimental documentarian Peter Schreiner was said to make films like others write poetry. He started
making films in the early 1980s and after a longer break continued in 2006, when he finally picked up a digital camera. Like in his earlier works, Schreiner shoots high-contrast black-and-white
images that in long, unrushed sequences and with a subtle roaring of the Mediterranean Sea open the space for intuitive, condensed attention. Under his direction, the bare, fragile landscape of
Lampedusa becomes an abstract place of meetings where the protagonists address their innermost thoughts and fears. They try to orient themselves on the path of searching for a meaning, a path
that remains fragmentary, caught somewhere between their memories and the present. In the presence of multi-layered film images, the past constantly intrudes in the monologues and conversations;
it has been impressed in their skin, faces and bodies, which Schreiner explores in their close-ups. Although also triggered by the political background of the island and the fates of individuals
on it, the questions that they pose and that bring together their traumas, dreams, hopes and experiences, are universal and rarely answered.
Schreiner’s Lampedusa is a film freed of the need to explain, one which says more about the existential than the social or
political uncertainty, itself becoming a sort of search or questioning – of its protagonists, film form and the reality in which it was made.
(Bor Pleteršek, Int. Filmfestival Isola Cinema - Kino
Otok)
intimste Innenansichten
Auch einer der Spielfilme bringt mich unheimlich nah an die Figuren. Man darf in Seelen schauen, so karg, rau und unnachahmlich wie die Landschaft der italienischen Insel Lampedusa, die Peter Schreiners Film seinen Namen gibt. Über zwei Stunden sieht man einem ehemaligen Flüchtling, einer älteren Dame und einem befreundeten Paar beim Sinnieren über Liebe, Leid, Leben und Tod zu. Doch zeigt der Film auch ganz deutlich seinen politischen Einschlag, wenn deplatziert wirkende realistische Schreckensbilder medialer Berichterstattung in diese alles andere als realistische, traumartige, von schwarz-weißem Schwermut durchtränkte Filmpoesie einbrechen. Die Kluft, die dadurch entsteht, reißt mich ständig weg vom bemerkenswerten Oberflächenglanz des Films, der hier spannender ist als jedweder politischer Impetus, weil er abgesehen von diesen Bildern in den Bildern das Flüchtlingsthema kaum zum vordergründigen Sujet macht. Vielmehr lädt Lampedusa in erster Linie ein zur schrittweisen, intensiven Erkundung von Bild und Ton. Einfach zuzusehen und vor allem zuzuhören, wie etwa ein Kissen zurechtgerückt wird, gestaltet sich hier zum multisensorischen Erlebnis. Unentwegt ticken Uhren und pochen Herzen. Wasserrauschen, Windspiel-Geklapper und Flugzeugmotoren vermengen sich zu einem mal penetranten, mal zarten, aber stets lückenlosen Klangteppich, während die Figuren regungslos sitzen, stehen, liegen, schlafen, rauchen, philosophieren. (...) Lampedusa erbaut einen intensiven filmischen Erfahrungsraum, errichtet intimste Innenansichten im audiovisuellen Wechselspiel, an die ich gerne zurückdenke.
(Josef Lommer, critic.de)
Authentizität
Ausgehend von der Erfahrung, dass filmisches Arbeiten immer mit Authentizität zu tun hat, da ja Kamera und Mikrophon, auch im konventionellen 'Spielfilm', nur das reproduzieren können, was zum Zeitpunkt der Aufnahmesichtbar und hörbar ist, erscheint es mir sinnvoll, dieses 'Prinzip' bewusst einzusetzen und auf die gesamte Arbeit - also auf alle psychischen und physischen Aspekte - auszuweiten. Das bedeutet, dass es notwendig ist, die tatsächlich vorhandenen Gegebenheiten in jeder Phase des Herstellungsprozesses so intensiv wie möglich wahrzunehmen und zu nützen. Neben den psychischen Verfassungen der DarstellerInnen und der hinter der Kamera Tätigen und deren sich entwickelnden Beziehungen, sind das auch die räumlichen Gegebenheiten, die Tageszeit und die Licht- und Wetterverhältnisse zum Zeitpunkt der Aufnahme. In diesem Sinn müssen alle inhaltlichen, dramaturgischen, textlichen Vorgaben so gehandhabt werden, dass sie in einem bestimmten Maß 'nach vorne' offen sind.
authenticity
Based on the experience that cinematic work is always connected to authenticity - considering that camera and microphone can, after all, even in the conventional movie only reproduce what is visible and audible at the moment of recording - it appears reasonable to make conscious use of this 'principle' and extend it over the whole of the project in all of its mental and physical aspects. This means that it is necessary to take note and advantage of all the given circumstances at any time during production. Apart from the mental states of both actors / actresses and the people behind the camera, as well as the relationships formed between them, this includes also spatial circumstances, the time, as well as lighting and weather conditions when recording. Consequently the specifications of content, dramaturgy and text need to be handled in a way as to leave them 'open' in some form.
Peter Schreiner (translation: Sandra Perger)
eine ganz andere
Annäherung
„Lampedusa“ ist eine ganz andere Annäherung an eine Insel, die in den vergangenen Jahren nur noch als Fluchtpunkt für überfüllte Flüchtlingsboote aus Afrika in die Schlagzeilen gekommen ist. Peter Schreiner will sich auf dieses Thema aber nicht wie andere vor ihm auf vordergründige Weise einlassen. Sein Film nutzt die elementare Schönheit der Insel als authentischen Hintergrund, um seinen Figuren ganz unaufdringlich seine humanistische Botschaft in den Mund zu legen. Wie viel kann der Mensch ertragen - und wie lange? Wie gelingt es, die Angst vor dem Tod nicht noch größer werden zu lassen, indem man die Angst nicht so wichtig nimmt? Wie finden wir zu uns selbst, und was erwartet uns dort? Und wo ist Gott dabei geblieben? Das sind einige der Fragen, die „Lampedusa“ aufwirft, ohne Antworten zu geben. Doch es ist ein Trost, dass sie gestellt werden: für die Protagonisten, ihren Seelenzustand einander zu bekunden, und für die Zuschauer, die Zeit haben, den Worten nachzuspüren. Die Kamera (ebenfalls Schreiner) fängt dazu erlesen ausgeleuchtete, extrem kontrastreiche Schwarz-Weiß-Bilder ein: vom Meer, der Küste, von Innenräumen, Schattenspielen im Garten, von sonnengegerbten Gesichtern, in denen sich ein schicksalsreiches Leben ablesen lässt.
Wer sich auf Schreiners behutsame, aber nie langatmige Erzählweise einlässt, wird belohnt.
(Alexander Musik, ORF.at)
Authentizität / Fiktionalität
So wie jede filmische Aufnahme immer einen authentischen Anteil aufweist, ist sie gleichzeitig - als künstlerisches Medium - in jedem Fall auch Fiktion, insofern sie nicht nur die 'tatsächlichen', vorgefundenen Gegebenheiten vor Ort reproduziert, sondern auch den Vorgang des Filmens selbst, sowie dessen - ohne jedes Dazutun zurückwirkenden - Einfluss auf diese Gegebenheiten. Diese Spiegelung des Vorgangs des Filmens in der gefilmten Situation hat im Fall unseres Projektes eine wesentliche inhaltliche Bedeutung. Sie steht in direktem Zusammenhang mit wichtigen Grundanliegen, wie der Selbstbefragung, des Hinterfragens vorgegebener (kultureller, materieller, historischer) Bedingungen, eingelernter Mechanismen, alltäglicher Rituale, wie auch, nicht zuletzt, mit einer grundlegenden Reflexion aktueller gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen. Beispiel für ein dementsprechendes, im Entwurf eingearbeitetes 'Stilmittel' ist die, direkt zur Kamera gerichtete, meist monologische 'Rede' der DarstellerInnen in manchen Situationen.
authenticity / fictionality
Just like every cinematic recording includes authentic material, at the same time - as a medium of artistic expression - in some respects it is always also fictional, so long as not only 'actual' conditions are reproduced, but also the process of filming and its influence on these 'actual' conditions, which extends without intentional interference.This reflection of the filming process in the filmed situation is essential for the subject matter of our project. It shares a direct connection with its main concerns, such as introspection, the questioning of existing (cultural, material, historical) conditions, mechanisms taught and rituals of everyday life, and, last but not least, an in-depth consideration of social and political developments. An example for a suitable stylistic device, worked into the very basis, is the monologue, spoken directly to the camera by the actors/actresses.
Peter Schreiner (translation: Sandra Perger)
ein Film über Ungewissheiten
Peter Schreiner, einer der unbeirrbaren Einzelgänger des heimischen Kinos, hat hier seinen neuen Film angesiedelt. In fragmentarischen Szenen umzirkelt er eine ältere Frau (Giuliana Pachner), die bei einem bärigen Bootskonstrukteur und seiner Frau eine Heimstatt gefunden hat. "Lampedusa" ist ein Film über Ungewissheiten, weniger in einem sozialen als in einem existenziellen, ja metaphysischen Sinn. Sie habe Angst vor dem Tod, sagt die Frau, deren ausdrucksstarkes Gesicht Schreiner wie eine Skulptur in Close-ups ins Bild rückt. In einem geflüchteten Somalier findet sie ein Gegenüber, mit dem sie ihr Unbehagen teilen kann. Ein wunderbar auratisches Paar, das in kein gängiges Rollenprofil des Kinos passt: Sie wirken noch in ihrem Schmerz, im Leiden an der Welt, unzerbrechlich. Das liegt nicht zuletzt an den hochauflösenden Schwarz-Weiß-Bildern, in denen Körper größte Plastizität erfahren.
(Dominik Kamalzadeh, Isabella Reicher, DER STANDARD)
Laboratorium Lampedusa
Peter Schreiner hat sich 2013 und 2014 auf Lampedusa aufgehalten. Sein Vorhaben war dabei allerdings keinesfalls eine herkömmliche Dokumentation über Auffanglager und Küstenwache. Stattdessen fokussiert der Regisseur, dem 2010 bereits eine Personale auf der Diagonale gewidmet wurde, auf das Leben von vier Menschen auf der Insel. Das von dem lampedusanischen Paar und das von Giuliana, die nach einem schweren Unfall in den Süden Europas geflohen ist und auf der Insel Geborgenheit gefunden hat. Und das von Zakaria, der ehemalige afrikanische Flüchtling, der einst über das Mittelmeer gekommen ist, mittlerweile aber in Rom als Journalist Fuß gefasst hat.
Diese Menschen lässt Schreiner auf Lampedusa aufeinandertreffen. Eine aktionistische Vorgehensweise, wie der Filmemacher selbst es nennt, die sich zwischen Spiel- und Dokumentarfilm bewegt und dabei ganz einfach Dinge passieren lässt.
“Ich bin das alte, sterbende Europa und Zakaria ist das aufstrebende, junge Afrika”, zitiert Peter Schreiner im Interview vor dem Schubert Kino, wo Lampedusa im Rahmen der Diagonale 2015 seine Uraufführung feierte, seine Protagonistin Giuliana. Das ist nur eine der bedeutungsschweren Erkenntnisse, die durch das von Schreiner erschaffene Laboratorium Lampedusa entstehen. Interaktionen stehen im Mittelpunkt. Die Kompromisslosigkeit des Mittelmeers auf der einen und die der europäischen Grenzmaschinerie auf der anderen Seite schwingen in diesem in schwarzweiß gehaltenen Szenario immer mit, aber nie explizit.
(Jan Hestmann, JOTDOT)
Fiktionalität
Der Entwurf baut aus den authentischen Berichten der ProtagonistInnen und den gemeinsam mit ihnen gewonnenen Erfahrungen bei der Recherche und den Probeaufnahmen mittels einer 'fiktiven' Verkettung eine filmische Erzählung, die zwar - einerseits - den Plot nur 'anlegen' möchte, aber - andererseits - doch weit über eine erzählende Montage von dokumentarischen Versatzstücken hinausgehen will, wie sie in sogenannten Dokumentarfilmen üblich ist. Es soll konsequent und chronologisch nach dem szenischen und textlichen Entwurf vorgegangen werden, jedoch in einer - man könnte sagen - 'aktionistischen' Weise, das heißt: ohne rein re-produktiven Ansatz. Es geht also nicht darum, eine 'Story' umzusetzen, sondern eine innere Erzählung entstehen und sichtbar werden zu lassen. Ein Vorgang soll ermöglicht werden, der - in seinen Tiefendimensionen - letztlich erst im Augenblick der Aufnahme stattfinden kann. Wie also der gesamte Prozess, aber auch die einzelne Sequenz, die einzelne Einstellung, im Detail tatsächlich verläuft, muss prinzipiell offen bleiben. Die in jeder Szenenbeschreibung vorhandenen Vorgaben sollen als Ausgangspunkt, Impuls und Anleitung für alle Mitwirkenden vor und hinter der Kamera dienen, nicht jedoch als fertiger, vorgegebener Ablauf, der etwa nur mehr darstellerisch und technisch umzusetzen wäre. Die in der Szenenfolge des Entwurfs angelegten Eckpunkte (Personen, Aktion, Text, Schauplatz, Zeit) sollen Raum für Wahrnehmung, emotionales Erleben, Assoziation, Ausdruck und Improvisation geben. In dem Augenblick, da dieser Raum sich öffnet, löst sich die reproduzierende Fiktion auf und ermöglicht eine authentische Vergegenwärtigung von Situationen und Gefühlen - vor laufender Kamera. Dadurch erhalten die DarstellerInnen die Möglichkeit, aus sich selbst heraus zu agieren, oder - noch besser -, einfach als sie selbst da zu sein - und dennoch gleichzeitig Teil der inneren Erzählung des Films zu werden.
fictionality
A cinematic narrative is built from a 'fictitious' connection between the protagonists' authentic reports, the experiences shared during research and the test takes. It is this anarrative which, on the one hand, only serves to lay out the basic plot, but on the other hand should go much further than being a montage accompanied by instances of story-telling , as would be conventional for documentaries. The scenic and textual draft shall be adhered to consistently and chronologically, but the approach taken is of more 'actionistic' nature, one could say - not strictly reproductive. The main objective is therefore not to display a 'story', but to let an inner narrative develop itself and become visible. A process shall be made possible, which - on its deeper levels - can only take place in the moment of recording. How the process as a whole, but also the smaller sequences, or even just a single shot, actually happen, is something that ultimately needs to remain open-ended. The directions given in each scene description shall serve as a starting point, give impulses and guidelines for everybody involved both in front of and behind the camera; they should not, however, prescribe a sequence of events, which only needs to be enacted and executed. The fixtures mentioned in the successive scenes (characters, action, text, place, time) shall still leave room for perceiving, experiencing on an emotional level, association, expression and improvisation. In the moment, when this space opens, the fictional reproduction dissolves and in its stead an authentic realisation of situations and emotions becomes possible - in front of the recording cameras. It is this, which allows the actors and actresses to act from within themselves , as it were, or - even better - to simply be there as themselves , and still, at the same time, become part of the film's inner narrative.
Peter Schreiner (translation: Sandra Perger)
Bestandsaufnahme des Augenblicks
Peter Schreiner erzählt in seinem Film „Lampedusa“ keine vordergründige Geschichte, sondern enthüllt in ganz kleinen Portionen das Innenleben seiner Protagonisten. Die Uraufführung des intensiven Werks fand am Mittwoch im Grazer Schubert-Kino im Rahmen der Diagonale statt. Der Titel suggeriert eine Geschichte über Flüchtlinge, Gestrandete, Menschen in Notsituationen. Doch Peter Schreiner, der bei „Lampedusa“ für Regie, Drehbuch und Schnitt verantwortlich zeichnete, verzichtet weitgehend darauf. Trotzdem spielen diese Dinge immer wieder eine Rolle, wenn sie in den Geschichten der Menschen vorkommen, von denen er erzählt. Dabei verwendet Schreiner meist Nahaufnahmen, schonungslos, frontal und schwarz-weiß. (...) Im Laufe des Films kommt die Kamera der Hauptdarstellerin immer näher, die letzten Großaufnahmen zeigen nur mehr ihre Augen, die Intensität wird in dem 130-minütigem Film dadurch fast unmerklich gesteigert. (...) Die realen Lebensgeschichten bleiben im Dunkeln, dafür geht es um eine Bewusstseinsfindung, um eine Bestandsaufnahme des Augenblicks. (...) Der Flüchtling blickt lange aufs Meer: „I want to find myself“, formuliert er seine Verlorenheit, die sich in den Wellenbewegungen widerspiegelt. Peter Schreiner wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet und lässt die Gesichter ihre eigenen Geschichten erzählen.
(Tiroler Tageszeitung)
Mehr als eine Geschichte
zu entwickeln liest Schreiner in seinem stillen und sehr langsamen Film in langen Großaufnahmen im von Falten zerfurchten Gesicht der Protagonistin und versucht so, in ihre Gedanken einzudringen. Eintauchen muss man in den meditativen Rhythmus, den schon die erste Einstellung vorgibt, in der die Kamera langsam von der grauen Meeresfläche, die bruchlos in den grauen Himmel übergeht, zu einer Steilküste schwenkt, und sich dem Fluss der bestechenden Schwarzweißbilder hingeben.
(Walter Gasperi, artCore)
Fast unhörbar leise Szenen von einer Insel, die als Schreckensort wahrgenommen wird.
Kultfilmer Peter Schreiner hat mit „Lampedusa“ eine ganz eigenwillige Symbiose aus Dokumentation und Spielfilm geschaffen. Da kommen zusammen: ein junger Schwarzafrikaner, der ein Vierteljahrhundert nur Krieg erlebt hat, über die Adria geflohen ist und es in Italien zum bekannten, Flüchtlings-engagierten Journalisten gebracht hat. Und eine alte Frau, die es aus dem gebirgigen Norden Italiens an den weitest südlichsten Punkt ihres Landes verschlagen hat. Flüchtling und Aussteigerin, dazu als Dritter ein Mann aus Lampedusa, der die Bootsbauerei an den Nagel gehängt hat. Drei, die im weitesten Sinn über das Leben nachdenken, über das Weiter- und Fortkommen – in die Welt, aus der Welt. Ein philosophischer Film, den Peter Schreiner schwarzweiß gehalten hat (die Gedanken der Protagonisten sind Farbe genug). Wie leicht bewegte Kunstfotografie mutet das an. „Echt“ sind die Handelnden, ihr Zusammentreffen hat der Regisseur vor Ort arrangiert. Sie „spielen“ vor der Kamera sich selbst, sind sie selbst und doch Darsteller im weiteren Sinn. (...) Fast unhörbar leise Szenen von einer Insel, die als Schreckensort wahrgenommen wird.
(Reinhard Kriechbaum, DrehPunktKultur)
Endstation oder Neuanfang?
Das Rauschen der Wellen, das Zwitschern der Vögel und das Ticken der Uhren – eine Geräuschkulisse, die nicht sofort erahnen lässt, auf welcher Insel das Publikum sich befindet. Das verrät nur der Filmtitel selbst: Lampedusa. Eine Insel, die von faszinierenden Landschaften und erschütternden Schicksalen gezeichnet ist. Jedoch ist „Lampedusa“, der bei der Diagonale seine Premiere feierte, kein Film über Grenzkontrollen, Kriegsflüchtlinge und Mittelmeersterben. Diese die Medien und Welt bewegenden Themen lässt Peter Schreiner, der für Drehbuch, Regie und Schnitt verantwortlich ist, nur ansatzweise in den Geschichten seiner ProtagonistInnen aufflammen. Vielmehr stellt er in seinem Film essentielle Fragen des Lebens. Es geht um Angst, Sinn und Tod.
„Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin. Es war nass. Mir war kalt. Drinnen und draußen“, erzählt Giulia, eine ältere Frau aus Norditalien. Sie hat als wohlhabende Touristin die Insel bereist und ist in der ersten Nacht ihres Aufenthaltes ausgeraubt worden. Heute ist sie von einer schweren Krankheit gezeichnet. „Es ist Krieg. Die Stadt ist zerstört. Niemand will dort bleiben“, erzählt ein junger Mann aus Somalia, dem die Flucht vor dem Bürgerkrieg gelungen ist. Heute ist er Filmemacher und Journalist in Rom. Und dann wäre da noch ein Bootsbauer aus Lampedusa, der gemeinsam mit seiner Frau die Touristin Giulia bei sich zu Hause aufgenommen und gepflegt hat. Diese drei Menschen, deren Lebensgeschichten unterschiedlicher nicht sein könnten, begegnen einander in Schreiners Erzählung aus Lampedusa. Sie sind zurückgekehrt, um ihre Geschichte zu erzählen, sie philosophieren über das Leben. Und fragen sich letztendlich: Was kann der Mensch alles ertragen, wie lange und warum?
Die detailreichen Nahaufnahmen und tiefgründigen Monologe vermitteln in 130 Minuten das Gefühl, als würde die Zeit auf dieser Insel stillstehen. Dabei ergeben die schwarz-weißen Bilder der Kamera und die bunten Erzählungen der ProtagonistInnen eine Symbiose. Der Schnitt spiegelt die gesamte landschaftliche Schönheit der Insel – der Stacheldrahtzaun mahnend im Hintergrund – wider. Der Film kommt gänzlich ohne Musik aus und setzt stattdessen auf authentische Umweltgeräusche. Die Präsenz des Meeres zieht sich durch den gesamten Film hindurch und steht stellvertretend für die unendlichen Weiten der Möglichkeiten und unerfüllten Wünsche des Lebens. Die schwarz-weiße Kulisse ist unaufdringlich, genauso wie die Geschichten der ProtagonistInnen, die zu keinen Helden avancieren, sondern vom Leben gezeichnete Menschen sind. (...)
(Sandra Schieder, progress)
cast:
Giuliana Pachner
Zakaria Mohamed Ali
Pasquale De Rubeis
Anna Matina
Awad Elkish
Ana Hernandez
Antonio Sanguedolce
Davide Gangarossa
Francesco Lucifora
Gianluca Greco
Girolamo D'Amore
Maria Sanguedolce
Rosaria Sanguedolce
Salvatrice Lucifora
Vito Gallo
thanks to:
Antonella D'Amore
Awad Elkish
Giacomo Sferlazzo
Giusy Sanguedolce
Haifaa Kokasch
Judith Zdesar
Michael Pilz
Mohamed Aman
Olaf Möller
Pasquale De Rubeis
Piera Di Maggio – Ristorante L'Aragosta
Renato Righi – D'Ammusi El Mosaico Del Sol
sound recording / 2013:
Isabella Schreiner
recherche / 2013:
Maria Schreiner
Peter Schreiner
decor / special effects:
Pasquale De Rubeis
organisation assistance:
Giuliana Pachner
interpreters:
Maria Schreiner
Giuliana Pachner
translators:
Sandra Perger
Giuliana Pachner
Haifaa Kokasch
Maria Schreiner
Zakaria Mohamed Ali
Awad Elkish
dcp encoding / mastering:
Ulrich Grimm,
av-design GmbH
Kurt Hennrich,
1z1 screenworks
equipment / grading / subtitles:
echt.zeit.film
sound-equipment:
Johannes Schmelzer-Ziringer
assistant camera / lighting / make up:
Isabella Schreiner
artistic collaboration:
Giuliana Pachner, Maria Schreiner
assistant director / producer:
Maria Schreiner
sound recording and mixing / sound design:
Johannes Schmelzer-Ziringer
scenario / realisation / cinematography / editing / production:
Peter Schreiner
production:
echt.zeit.film - Peter Schreiner Filmproduktion
supported by:
The Arts Division of the Federal Chancellery of Austria - Innovative Film Austria
Vienna City Administration - cultural department
filmed 2013/14
Isola di Lampedusa, Italy
shooting format:
XDCAM-EX 1920x1080 25p, bw
Audio: mono / 3 channels
available prints:
1. DIGITAL CINEMA PACKAGE SMPTE/DCI -JPEG2000
Flat 1998x1080 / 25p / Audio: Digital 3.1 (mono)
english / german / italian subtitled
2. BLURAY-DISC-DL 1920x1080 / 25p / Audio: 2-channels-mono
english / german / italian subtitled
3. QUICKTIME-FILE Apple PRORES 422 HQ 1920x1080
Audio: 3.1 (mono) or 2-channels (mono)
english / german / italian subtitled or without subtitles
Arbeitsfotos
work-photos
Plakat
poster
all texts, videos, pictures, document presentations etc. may be used, as long as the origin is marked by a link to www.echtzeitfilm.at
and no commercial aim is pursued.