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KINDERFILM (CHILDREN FILM)
Austria 1985 / 16 mm, black and white / 1:1,33 / commag / original version german without subtitles
running time: 106 min. (25f/s)
collaboration: Maria Schreiner, Andi Stern
realisation, cinematography, editing: Peter Schreiner
production: Lied-Becker-Dokumentarfilm, Erich Liedl
supported by: Federal Ministry for Education, Arts and Sports, ORF - Austrian Television,
City of Vienna, cultural department
world distribution: echtzeitfilm
Austrian Film Days, 1985 (Premiere)
Austrian Film Museum, 1986
Diagonale'10, Graz, Austria, 2010
"Imaginationen des Realen", Austrian Film Museum, 2010
Lendwirbel-Festival, Graz 2011
Film Archiv Austria Retrospektive 2022 / Vienna
television: "Kunst-Stücke" (ORF - Austrian Television, 1988)
a time of endless possibilities
Kinderfilm picks up on the structure and themes of Grelles Licht. Near the beginning of the collage Schreiner and his future wife Maria are sitting in an Italian landscape, and she’s translating from the Divine Comedy (he’s learning the language; Italy will subsequently evolve in to being a second important focus of interest); this is another scene emblematic for the time it takes to give this labour of love adequate room and resonance. The corresponding refusal to break up and condense the moment is characteristic of Schreiner’s modest refusal of commercial conventions in the name of unmediated togetherness.(...) What one wants, however, is a key issue of Schreiner’s human poetry. Kinderfilm mostly moves back and forth between two groups: Children of friends, for whom the Schreiners hosted a weekly afternoon, and his graduation classmates at their ten-year reunion. Over schnitzel and beer, these average men without qualities smugly remark on their wisdom, successes, and career developments, content with being cogs in the machine and without any individual dreams left. An incredulous Schreiner looks on speechlessly, while in between, in one of his jaw-dropping interludes, there’s a mesmerizing shot of a low-flying plane crossing the heavily overcast sky. These confrontations with a lifeless status quo illuminate Schreiner’s understanding of alienation and his fascination for outsiders, while the marvelous children scenes serve as counterpoint, bringing back a time of endless possibilities, a time when (as Schreiner’s father recalls) even the days seemed to be longer.
(Christoph Huber, Cinema Scope, 2010)
wie ein sprachloser Kommentar
(...) so erstaunt es kaum, dass das für mich ehrlichste und präziseste Werk der Filmtage spätnachts im winzigen Kinocenter Traunpark fast unter
Ausschluss der Öffentlichkeit vorgeführt wurde:
Peter Schreiner machte sich Gedanken, suchte Bilder und Töne zum Thema Kindheit und Kind-Sein.
Menschen und Orte, die er zu kennen glaubt, an die er sich erinnern kann, stehen im Mittelpunkt seines dokumentarischen "Kinderfilms". Schreiner
vertraut darauf, dass der Zuschauer seinen behutsamen Beobachtungen, seiner genauen Montage folgen kann.
So konfrontiert er zum Beispiel Begegnungen, Sonntagsrituale im Haus seiner Eltern mit dem Klassentreffen seiner ehemaligen Schulkollegen, die sich
zum Teil als junge Mütter und Väter erneut mit dem Kind-Sein beschäftigen.
Wie ein sprachloser Kommentar dazu wirken eingeschobene Aufnahmen von geistig und körperlich Behinderten, die frühmorgens mit dem Bus zur Arbeit
gebracht werden. Diese Menschen, so scheinen die Bilder zu sagen, haben vielleicht gerade wegen ihrer Handicapierung, einen schönen Teil ihres Kind-Seins bewahren können.
(Christoph Schertenleib)
verlorene Träume
(...) die Entdeckung einer höchst individuellen Handschrift, die im österreichischen Kino ohne echte Vorläufer ist.
Für mich steht Kinderfilm für die Freude an diesem eigenwilligen Kino, für das Erstaunen über den Reichtum einer Ausdrucksweise, die sich über die
Jahre sehr verändert hat und doch in ihren Eigenheiten unverkennbar ist, in der jeder Film für sich steht und doch Teil einer fortlaufenden Auseinandersetzung mit der Welt ist.
Kinderfilm kreist um das Älter werden, um Kindheitserinnerungen, um Kinder und deren - vielleicht für die Erwachsenen verlorenen - Möglichkeiten und
Träume. Bei aller Präzision, die sich bei Schreiner immer findet, ist dieser Film spielerisch, eine Collage aus einer Reihe von Begegnungen mit Menschen, denen Schreiner nahe ist oder zu denen es
zumindest eine biografische Beziehung gibt: Die ehemaligen MitschülerInnen beim Klassentreffen, die Kindergruppe, die sich wöchentlich bei Schreiners zuhause einfindet, die Fahrten im Bus der
Lebenshilfe, die eine Gruppe sogenannter geistig Behinderter zur Arbeit bringt, die Besuche bei den Eltern, die Reise nach Italien, Begegnungen mit Freunden.
Die Kamera ist "anwesend" und sammelt Eindrücke, die in der Montage parallel geführt werden. Anzunehmen, dass die Kamera nur beobachtet, wäre naiv,
"der Film ist das, was die Anwesenheit der Kamera am Geschehen verändert", schreibt Schreiner. Kinderfilm ist der Versuch der Kommunikation durch Film, er dokumentiert in seinen Bildern und Tönen
den Fluss der Ereignisse, aber auch eine Suche - nicht nach allgemeingültigen Thesen zum Thema Kindheit, sondern nach einem filmischen Nachdenken über Erinnerungen und Identität, Verluste und
Sehnsucht, das Vergehen der Zeit. Schreiner eröffnet einen Raum, der über die Bilder hinausweist, es werden Spuren gelegt und er lässt einem Zeit, sich seine eigene Spur zu suchen, Zeit für
Beobachtung und für Reflexion.
Kinderfilm ist auch der Versuch einer Kommunikation über die Mittel des Kinos, über seine Erzählweisen und Konventionen, außerhalb derer sich
Schreiner bewegt, vor allem aber über die Form des Erlebens, die Nähe, die das Kino möglich macht. Kinderfilm kommt einem nahe, weil er keine Wirklichkeit behauptet, sondern eine mögliche
Wirklichkeit empfindet. Diese Momente der Nähe und Berührung gibt es im Kino viel zu selten, in den Filmen von Peter Schreiner zum Glück aber immer wieder.
(Barbara Pichler, 2010)
"Mir zum Beispiel ist nicht fad."
Kinderfilm (1985), eine fast unheimliche Engführung der aus Grelles Licht bekannten Parallelmontage von "Handlungssträngen", die sich auch als
autobiografische Eng(er)führung der eigenen Lebenswege und Optionen verstehen lässt - Schreiner ist jetzt 28, mal sitzt er mit der späteren Ehefrau Maria unterm Baum und lässt sich die Divina
Commedia übersetzen (bzw. Italienisch beibringen - bis heute wird Italien, die Gegenden, die Sprache, Schreiners zweiter Interessensmittelpunkt bleiben), mal sind die beiden von einer Kinderschar
umgeben - einmal pro Woche gab es ein halbprivates Kindergruppentreffen in der eigenen Wohnung -, mal sitzt er mit geistig und körperlich behinderten Menschen im Bus. Von einem Jungen will
Schreiner wissen, wieso ihm fad sei, das Gespräch kommt nicht richtig in Gang, da sagt Schreiner: "Mir zum Beispiel ist nicht fad."
Die Szene ist Metapher für seine gesamte Art, ruhig und gleichzeitig (sehn-) süchtig nach mehr, versucht er, den Leuten ihre biederen kleinen
Zweifel an sich selbst zu nehmen. Aber jenseits der Spontaneität und Befreitheit der Kids sind so manche Türen schon zugefallen: Beim 10-jährigen Maturatreffen haben die Typen längst ihre
Karrieren eingeschlagen, ihre Branchen im Griff, man ergeht sich im süffisant-konventionellen Kommentieren eigener und fremder Lebensläufe (das Genre Klassentreffen bringt so was mit sich).
Schreiner filmt das mit einer fast weinenden Ungläubigkeit. Irgendwie ist da keiner mehr, der überhaupt annähernd die Frage verstehen könnte: "Die Vorstellung von einem guten Leben - habt ihr das
nie gehabt?" Da wird klar, dass zu diesem positiven, lebensbejahenden, an Beziehungen arbeitenden Menschen auch der entfremdete Außenseiter gehört.
(Barbara Wurm, Kolik-Film, 2010)
fremd in der eigenen Welt
Bereits in seinen frühen Arbeiten zeigte sich Peter Schreiners besondere Achtung vor Kindern und die Bedeutung, die er Kindheitserinnerungen
beimisst. In Kinderfilm stellt er diese ins Zentrum seines Blicks. Es sind seine eigenen Erinnerungen, die er in den Raum stellt, ergänzt durch die seiner WegbegleiterInnen und um die Aktualität
der Bilder. Die Kamera zeigt häufig die Räume von damals. Wieviel sich geändert hat, ist unwichtig. Das kommt in den Gesprächen heraus, die in der Montage liebevoll zwischen Geplänkel und
Reflexion pendeln. Dabei zeigt Peter Schreiner auch Kinder, die keine mehr sind: seine Schulkollegen, Freundinnen. Ein Großteil von ihnen haben zur Zeit der Dreharbeiten, Mitte der 1980er Jahre,
selbst Kinder, was ihrer eigenen Kindheit neue Interpretationen verleiht. Peter Schreiner aber fühlt sich fremd unter ihnen. Er beobachtet und hat mit der Gegenwart der ehemaligen FreundInnen
vielleicht nichts mehr gemeinsam. Eher sind es die Kinder und sogenannten Behinderten, denen er sich nahe fühlt. Das erzählen die Bilder. Mehr als seine anderen Arbeiten zeigt Kinderfilm einen
nachdenklichen Regisseur. Einen Fremden in der eigenen Welt, auf der Suche wie eh und je.
(Diagonale'10, Katalogtext)
cast:
Alfred Freiberger
Andi Stern
Andrea Schlechta
Anna Gasser
Annemarie Zottl
Bärbel Neubauer
Bärbel Ramharter
Christl
Clementine Gasser
Daniela Ramharter
Elfie Gasser-Wagner
Emmanuel Zottl
Franz Huber
Franz Knauer
Franz Mechtler
Frida Heiek
Gabriele Cunat
Gabriele Bazelt
Georg Weber
Gerhard Horinowicz
Gerhard Schütze
Helga Pfabigan
Hermine Schreiner
Herwig Reichel
Inge Chiari
Ingeborg Höfner
Josef Gasser
Karl Grieszl
Karl Heinz Zügner
Kathi Pustovka
Leopold Schreiner
Maria Schreiner
Maxi Fischer
Maxi Lalouschek
Norbert Bruck
Peter Gasser
Peter Schreiner
Robert Leeb
Stefan Pöltl
Susanne Schreiner
Thomas Huemer
thanks to:
Andi Stern
Erich Liedl
Roman Sadnik
sound:
Peter Schreiner
Michael Kreihsl
camera:
Peter Schreiner
Christian Schmidt
Susanne Schreiner
Michael Kreihsl
Johann Sebastian Bach
Preludio 2, c-Moll, from "The Well-tempered Clavier"
piano:
Maria Schreiner
realisation,cinematography, editing:
Peter Schreiner
collaboration:
Maria Schreiner
production:
Liedl-Becker-Dokumentar-Film, Erich Liedl and Peter Schreiner
titles:
Alfabetstudio
supported by:
Federal Ministry for Education, Arts and Sports,
ORF - Austrian Television
available prints:
1) standard-16 mm print , magnetic soundtrack , 1:1,33, black and white
original version (german, italian), no subtitles
(Film Collection of the Austrian Film Museum, Vienna, world distribution: echtzeitfilm)
2) DVD-SL
Arbeits-Fotos
work-photos
Plakat
poster
all texts, videos, pictures, document presentations etc. may be used, as long as the origin is marked by a link to www.echtzeitfilm.at
and no commercial aim is pursued.