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I CIMBRI (THE CIMBRI)
Austria 1988-1991/ 16 mm / black and white / 1:1,33 / optical sound / running time: 116 min (25f/s)
original version: italian- cimbro with german, italian, english subtitles
cast: Fortunato Dal Bosco, Adele Dal Bosco, Germano Dal Bosco, Corinna Pernigotti and many others
sound: Andi Stern, Susanne Schreiner
concept, realisation, cinematography, editing: Peter Schreiner
production: Peter Schreiner and Sprachinselfreunde, Vienna
supported by: Federal Ministry for Education, Arts and Sports
world distribution: echtzeitfilm
Internationale Filmfestspiele Berlin, Forum des Jungen Films 1991 (International Premiere), Berlin / Germany
International Film Festival Trento 1991 / Italy
International Film Festival Rotterdam 1992 / The Netherlands
Duisburger Filmtage 1991 / Germany
International Film Festival Setubal,1992 / Portugal
Walserherbst Festival, 2008 / Austria
Deutsches Historisches Museum Berlin, Filmreihe 'Mundart' 2009, Berlin / Germany
Diagonale '10, Graz / Austria
Landwirbel-Festival 2011, Graz / Austria
I
Mille Occhi Festival del Cinema e delle Arti 2019, Trieste / Italy
Film Archiv Austria Retrospektive 2022 / Vienna, Austria
Eintauchen in eine unbekannte Welt
Schreiner agiert als Begleiter durch Giazza/Ljetzan im Illasital, Iässt den Zuseher ankommen, die Häuser und Straßen betrachten, die Felder und Wiesen ansehen, mit den Menschen langsam ins Gespräch kommen, an ihrem Leben teilhaben. Er gibt den Raum dafür, Bilder wirken zu lassen, Details zu entdecken. Das alles geschieht mit unendlicher Ruhe und Bedächtigkeit, die auch die alten Bewohner des Dorfes haben. Alles, was er zeigt, ist einfach, beim ersten Hinschauen fast statisch: Ein Mann und eine Frau, die vor einem Haus in der Sonne sitzen, ein Mann, der einem anderen bei der Arbeit zusieht, ein dritter auf dem Markt, inmitten von Touristen. Dabei kommt der Film mit wenigen Worten aus, mit dem, was die Menschen über das, was ihre Umwelt ausgemacht hat, erzählen. Statt auf Begleittexte verlässt sich Schreiner auf die Sprache der Bilder, auf die Aussagekraft schwarzweiß gefilmter Szenarien und überträgt es den Menschen, was sie von sich zeigen, wie weit sie Einblick gewähren. So gerät man als Betrachtet immer tiefer in eine unbekannte Welt, beginnt die Geschichten hinter dem Gezeigten zu erahnen, lässt sich die Zeit zwischen den Bildern entgleiten und behält den Eindruck eines wehmütigen, aber auch hoffnungsvollen Rückblicks.
(Tiroler Tageszeitung, 1992)
a mood of contemplation
A strikingly stylish documentary shot in secure, lengthy black &
white shots which almost look like photos thanks to the calm they radiate. The breathes a mood of contemplation. The direct motivation for making I Cimbri was the request by language researchers
todocument the almost extinct language of a small community. The group in question was the Zimbern or Cimbri, mountain dwellers in a spur of the Alps not far from Verona. The language of the
Zimbern, which derived in the Middle Ages as a mixture of German and Italian dialects, is hardly spoken any more. The film was hot in the village of Giazza, where a couple of old people were
still able to speak it (partly). Schreiner's interest was however not primarily ethnographic. It is significant that there is not much speaking done in the film, silencewould appear to be more
important. Schreiner likes to adopt an intuitive approach; the film was made without a prior plan, as the observations were made, and edited with as much feeling. I Cimbri comprises shots of
people who stare into the camera silently for long periods; they are not in a hurry and do not talk more than necessary. The film is more a meditation than a reflection; the loss of a specific
way of living and working, in harmony with the natural surroundings, is not presented but is made tangible. In Giazza a culture disappears before the eye of the camera while it has long since
gone elsewhere in Europe. And the soundtrack records the 'original sound' just as precisely and eloquently, because 'silence' in Giazza is the same as the noise of modern
society.
© 2006 IFFR
eine sinkende Insel im Meer Europa
Kein Hilferuf, keine Trauer, keine Hektik.
Ein Mariengebet tönt wie Jahrhunderte gleich: "Einmal war ich gut, jetzt nicht mehr, ich sag es falsch, wie eine Glocke." Schwarzfilm am Beginn und
am Ende des Films. Einer wie Peter Schreiner lässt keine Ablenkung zu. Nur Töne klammern seinen sehr persönlichen Film konsequent. Er weiß, ohne die optische Dunkelheit ginge die scheinbar helle
Akustik der Worte verloren. So arbeiten Meister, aber Peter Schreiner ist ein österreichischer Außenseiter, geboren 1957, zur Strafe in Wien.
Seit 1982 dreht er experimentelle Dokumentarfilme mit Titeln wie "Grelles Licht" (1982), "Erste Liebe" (1983), "Adagio"(1984), "Kinderfilm" (1985),
"Auf dem Weg" (1986-90).
Ein Weg voller Steine und Missverständnisse. 1983 sagt er: "die Bedeutung der Kamera zu vertuschen, ist die Lüge vieler Spielfilme. Das interessiert
mich nicht." Damit revoltiert er gegen die Vorstellungskraft der modischen Experimentalisten ebenso, wie gegen den engen Horizont der Mehrheit, die nur ins Kino geht, um - aus Gewohnheit - auch
optisch vergewaltigt zu werden. Schreiner dreht weiter. Unbeirrbar. Radikal persönlich. Der Direktor der Österreichischen Filmtage zeigt 1990 seinen Film "Aug dem Weg" um 9 Uhr früh: Natürlich
konnte der Direktor auf den Film nicht verzichten und wollte (sich selbst) beweisen, dass nur eine Minderheit den Film sehen will. Fünf Zuschauer waren im Saal des "Greif"- Kinos. Also hat der
Direktor dem Direktor bewiesen, wie gut er ist: Und der Regisseur, der Autor, der stille Provokateur?
Er sagte: "Ich will mit meinen Filmen niemand beeindrucken", Um keine Missverständnisse zu wecken:
Peter Schreiner ist kein Revolutionär der Ideen (die man noch vor kurzem Ideologien nannte), auch kein alpenländischer Visionär des Ungesehenen,
sondern ein radikaler Schausteller seiner Wirklichkeit, "Seiner Wirklichkeit" muss betont werden, denn in den Filmen Schreiners vor "I Cimbri" war auch ich als Zuschauer der Außenseiter, der
manchmal gelangweilte Betrachter von Menschen, die wie auf einem Marktplatz an mir vorbeigingen, ohne mich "aufzunehmen" in "ihre" Welt. Sicher, radikal subjektive Bilder von spielenden Kindern
und ebenso unbeholfenen Erwachsenen waren zu sehen, ungekünstelt, echt, direkt. Und dann?
"I Cimbri" .
Vierzig Kilometer nordöstlich von Verona leben zwischen steilen Berghängen, Touristen und Kühen seit dem 13. Jahrhundert die "Zimbern". Sie kamen
aus Tirol und anderen Ländern, sprachen das "Tautsche Gareida", mähten Wiesen und hüteten Kühe. Jahrhundertelang. Einwanderer, Flüchtlinge, Ausländer mit einer anderen Sprache auf jeden
Fall.
Das hinterlässt Spuren, Wunden, seltsame Zeichen von Macht und Ohnmacht. Noch vor 50 Jahren lebten in Giazza (Ljetzan) 800 Menschen, jetzt sind es
nur mehr 250. Aus der selbstverständlich gelebten Autarkie ist eine Toteninsel der Lebenden geworden.
Im Winter stehen zwei Drittel der Häuser leer und warten auf den Sommertourismus.
Noch lockt das "Zimbernmuseum" und der Flipper im Wirtshaus, die falsche Glocke zum Jahrmarkt.
In 5 bis 10 Jahren wird auch das Vergangenheit sein. Peter Schreiner filmte, was kein TV-Film zeigen dürfte: schwer atmende alte Männer ohne Worte,
plötzlich ein Laut wie von einem Zugvogel zum Abschied in den Wind geschrien, einsame Hunde und Katzen auf menschenleeren Dorfstraßen, Autos, lärmende und singende Touristen, die längst vergessen
haben, dass sie ein militärisches Lied singen, und Frauen, gebeugt voller Zurückhaltung, Scheu und Scham.
Wo verlernten die Männer ihr Handwerk, wie wurden sie sprachlos und verbittert? '
Peter Schreiner stellt wenig Fragen, er beobachtet wie ein Adler, der selbst vom Aussterben bedroht ist. Bergwiesen, Holzhütten, Menschen, Steine.
Mitleidlos zeigt er: was war und ist.
Ohne Wertung, wie sie in sentimentalen TV-Dokumentationen immer Mode war und ist.
Peter Schreiner verweigert jede Illusion. "Es geht nicht darum, dass ein Film wirklichkeitsgetreu ist, es gibt so viele Wirklichkeiten, wie es
Menschen gibt"
In Österreich hat Schreiner keine filmischen Vorfahren und nur wenige Menschen, die ihm Mut machen.
Das muss nicht sein. Wer wenigstens Johan van der Keukens "Das Auge über dem Brunnen" gesehen hat, der weiß um einen Holländer, der Peter Schreiners
Vater sein könnte.
Vielleicht noch stärker als die Menschen in Kerala, stehen die Zimbern der Kamera von Peter Schreiner gegenüber: Subjekte im Begriff Objekte zu
werden. Bei Peter Schreiner stellt sich zumindest eine alte Frau einmal gegen die Beharrlichkeit der Kamera, sagt: "basta" und geht. Sie behält ihre Würde und ihren Stolz.
Der Gefahr der Inszenierung, der Instrumentalisierung von Menschen war sich Peter Schreiner durchaus bewusst, sonst hätte er nicht 1988, vor Beginn
der Dreharbeiten zu "I CIMBRI" geschrieben: "Wir sind nur berechtigt, diesen Film zu drehen, wenn wir die Menschen nicht hintergehen. Nicht sie belauschen oder ausstellen, sondern sie atmen,
bewegen, reden lassen".
So bleibt ihm die bittere Erkenntnis seines deutschen Kollegen Peter Heller erspart, der rückblickend über die Arbeit an einem TV-Film über die
Tuaregs sagte: "Ich war geschockt, bedrückt und verlegen. Wir haben uns dabei ertappt, genau das zu zerstören, was wir gesucht haben. Weil wir es vorzeigen wollten."
Schreiner - und das ist ihm zu danken, zerstört nicht, weil er sich behutsam und vielleicht sogar zu vorsichtig den Menschen nähert, aber dabei
viele Arten von Zerstörung beobachtet, die andere auf dem Gewissen haben.
Die aussterbende Sprache der Zimbern ist nur das beeindruckendste Zeichen vieler Verluste. Schon seit langem wird das Ende der Zimbern-Kultur und
Sprache vorausgesagt, aber trotz aller Diffamierungen (rückständig usw.) haben sie Jahrhunderte überlebt. Einmal sagt ein alter Mann im Film, im Dorf "Fortunato“., der "Glückliche" genannt,
beinahe nebenbei entscheidende Wörter.
Um zu verstehen, braucht es keine Sätze: "...Bruder.,. Schwester.. ..wir haben Holz geschnitten.... alles kaputt".
Und Romano: "Früher waren wir achthundert, einmal im Monat kam der Arzt vorbei, jetzt sind wir 124 und er kommt jeden Tag. Wir hatten einfaches
Essen. Heute schmeckt es besser, aber es ist voller Gift.
Alles ist verloren, der Geruch des gebackenen Brotes, ein Schwein brauchte sieben bis acht Monate um auszuwachsen, heute drei bis vier, weil es
Kunstfutter bekommt ...
"I Cimbri" wurde glücklicherweise kein ethnologischer Lehrfilm, kein ökologisches Pamphlet, kein Wellenfilm, der die Vergangenheit verherrlicht und
den Slogan "Zurück zur Natur" bebildert, sondern ein ehrlicher, impressionistischer Film, der am Ende sogar auf Bilder verzichtet und nur die Stimme Romanos hören lässt:
"Als ich jung war, haben alle Zimbrisch gesprochen, Kleine und Große, dann kamen sie aus Verona und haben uns ausgelacht... ..viele sind
weggegangen... ein paar Alte sind noch da... die Jungen sind weg".
Im Juni 1991 fuhr Peter Schreiner mit seinem Film in die Berge, nicht weit von Verona.
Dort hat er einige alte Menschen vor Freude weinen sehen.
(Otto Reiter, SKRIEN, 1992)
lost horizons
40 kilometers from Verona, in the remote mountain town of Giazza, a culture is dying. "I Cimbri' or the Zimbers, now less than 250 strong, are the last representatives of a
Germanic culture dating back to the 13th century. An autocratic group that lost its rights under Napoleon, the Zimbers further faded into obscurity as the 20th century progressed. Isolated by
geography and bad roads, the Zimbers in the little church town of Giazza held on the langest, but as the eIder generation dies out. their language and way of life is being buried along with
them.
Peter Schreiner, a somewhat experimental and personal maker of documentaries, first visited Giazza in the spring of 1988. I Cimbri - the Zimbers, his study in observation, was filmed over four consecutive visits, beginning in Feb. 1989 and ending in May1990.
He recorded what he, as an out¬sider, saw of their slow-paced life. And he recorded what the villagers - at least those who would speak to him - said, though the Zimbers, he notes, are people of very few words.
His film makes no thematic pretensions. I Cimbri is not an ethnological study or a modem Brigadoon. Nor are the Zimbers
exceptional in their fate, Schreiner suggests. 'We live in a time when all is disappearing, so fast that we can't understand what is happening. The Zimbers are just one example of an ocurrence
all over the world."
(Melissa Drier , Berlin 1991)
Im Frühjahr 1988 unternahm der österreichische Experimentalfilmer Peter Schreiner seine erste Reise in das kleine Bergdorf Giazza in Oberitalien, wo unter den 250 Einwohnern noch ein paar alte Leute in einem altdeutschen Dialekt, dem Zimbrischen, miteinander redeten. Seit dem 12. Jahrhundert leben die Zimbern in dieser abgeschiedenen Region: eine kleine deutschsprachige Minderheit, die einst aus Tirol hierher kam und zu der sich später noch Alemannen aus der Ostschweiz gesellten. Heute sterben ihre von tiefer Religiosität geprägte Kultur und ihre Sprache aus. Peter Schreiner kehrte zurück nach Giazza und gewann das Vertrauen der Zimbern. Er hörte den Menschen zu, lernte ihr naturnahes Leben und ihren Glauben kennen und nahm ihre Sprache auf, er beobachtete, wie zugleich die Moderne, wie Industrialisierung, Straßenverkehr und Naturzerstörung Einzug hielten und das Alte begruben. So erscheint Schreiners Dokumentarfilm heute auch als ein Gedächtnis, das sich dem Verlöschen entgegenstemmt, gedreht in etwas unwirklichem Schwarzweiß, versehen mit harten, expressiven Schnitten und Tonmontagen.
(Deutsches Historisches Museum Berlin, Text zur Filmreihe 'Mundart', 2009)
Keine Eile
I Cimbri beim 21. internationalen Forum des jungen Films,, Berlin 1991 / 41. internationale
Filmfestspiele Berlin
Statt Bilder Schwarzfilm. Ein Mariengebet ist aus dem Off zu hören: "... von unserem kleinen Tal geben die Gipfel Antwort den Glocken, die sagen:
der Tag ist zu Ende. Oh, Mutter im Himmel, schau herunter und bete für alle, die nach dir rufen..."
Peter Schreiners I CIMBRI dokumentiert das Verschwinden der Volksgruppe der Zimbern. Diese ethnographische Studie beschreibt das Verfließen der
Dinge und der Zeit. Die Düsternis der Schwarzweißphotographie scheint wie ein Trauerschleier über einem bereits erloschenen Leben zu liegen.
I CIMBRI entwirft gleichsam ex negativo die Sehnsucht nach einem Leben, das in Einklang mit der Natur steht, nach einem Dasein, in dem Arbeit keine
entfremdete Tätigkeit darstellt. Diese Dorf-Gemeinschaft, 40 Kilometer nordöstlich von Verona gelegen, war in den vergangenen Jahrhunderten eine Volksgruppe, die eine bestimmte politische
Funktion erfüllte - im Kriegsfall mussten die Zimbern die Verteidigung mitübernehmen.
Heute leben die Zimbern in ihrem Kirchdorf Giazza in sozialer Abgeschiedenheit. Nur sonntags verwandelt sich die Piazza in einen beliebten
Treffpunkt für Touristen, in ein Ausflugsziel für Mountain-Biker. An Verkaufsständen werden billige Uhren und allerlei sonstiger Tand feilgeboten. Die Einwohner von Giazza sprechen nur wenig -
ihr Dialekt wird als rückständige Sprach¬form betrachtet. Die Kargheit im sprachlichen Ausdruck findet sich wieder in ihrer Gestik und Mimik. Die Zimbern scheinen keine Eile zu kennen. Es ist für
sie ganz selbstverständlich, lange in die Kamera zu gucken und nichts zu sagen. Durch die Reduktion der filmischen Mittel und eine präzise Beobachtungsgabe erreicht Schreiner einen unermesslichen
Reichtum an `sprechenden' Bildern.
Die Einstellungen in Schreiners Dokumentation tropfen wie aus einer toten Vergangenheit auf die Leinwand. Ans Ende seiner Dokumentation hat Peter
Schreiner wieder Schwarzfilm gesetzt. Wie am Beginn ist aus dem Off eine Stimme zu hören: Voller Resignation erzählt Romano von einer düsteren Zukunft: "Ich erinnere mich, als ich jung war, haben
alle zimbrisch geredet, Kleine und Große, dann kamen sie aus Verona und lachten uns aus, und die Alten lehrten uns nur mehr italienisch - als ich in die Schule kam, konnte ich kein Wort
italienisch, nur zimbrisch - dann haben sie angefangen wegzufahren - jetzt sind wir nur mehr wenige - die Alten, aber die Jungen nicht mehr, hier sind mehr alte als junge Leute, die Jungen sind
nicht mehr hier."
(Klaus Dermutz, Freunde der Deutschen Kinemathek, Berlin)
Interview mit Peter Schreiner
Frage: Wie entstand die Idee zu diesem Film?
Peter Schreiner: I CIMBRI ist mein erster Film, der nicht aufgrund einer Idee entstanden ist. Eine Tante meiner Frau beschäftigt sich seit
Jahrzehnten mit den Dialekten von so genannten `Sprachinseln'. Und so ergab es sich, dass die Möglichkeit bestand, - mit bescheidenen Mitteln - in Giazza einen Film zu drehen. Lange Zeit war ich
nicht sicher, ob ich mich auf ein solches Projekt einlassen soll, war ich doch bisher immer von meinem eigenen Leben ausgegangen, von dem unmittelbaren Bedürfnis, etwas über mein Leben zu
sagen.
Im Frühjahr 1988 unternahmen meine Frau und ich dann die erste Reise nach Giazza - wir blieben eine Woche dort, spazierten zwischen den Häusern umher. Die ersten Kontakte waren nicht leicht, doch es stellte sich ein Wohlbefinden, eine Art Gleichklang ein - trotz unserer Schüchternheit und auch der Verschlossenheit der Dorfbewohner - jedenfalls stand es seit damals fest für mich, diesen Film zu drehen.
Frage: Wie lange dauerten die Dreharbeiten? Haben Sie in die¬sem Dorf vor den Aufnahmen einige Zeit gelebt?
P.S.: Im Februar 1989 eine Woche, im Mai 1989 eine Woche, im August 1989 eine Woche und im Mai 1990 zwei Wochen. Bis auf die eine Woche des
`Spazierengehens' war ich vor den Aufnahmen nie in Giazza gewesen.
Frage: Wie ist das Verhältnis von gefilmtem Material zu dem im Film verwendeten?
P.S.: Das Drehverhältnis beträgt etwa 1:8.
Frage: Visualisiert der Schwarzfilm am Beginn und Ende des Films das im Verlöschen begriffene Leben der
Zimbern?
P.S.: Wenn Sie so wollen, ist das eine mögliche Interpretation. Im allgemeinen versuche ich beim Filmen und beim Montieren so wenig wie möglich
nachzudenken. Auftauchende Gedanken stören mich meistens beim intuitiven Arbeiten mit der `Wirklichkeit' beziehungsweise mit dem gesammelten Material. Schon der Anstoß zu meinem ersten Film kam
aus der Tiefe meiner frühen Kinderjahre. Für mich ist Filmen etwas, das mich vor dem drohenden `Erwachsenwerden' bewahrt - was immer Sie darunter verstehen wollen. Natürlich ist das auch mit Leid
verbunden - dem des Außenstehenden, vielleicht Passiven, jedenfalls eines Menschen, dem es möglicherweise versagt ist, in Demut seinen Weg zu gehen (wie es vielleicht die Alten in Giazza noch
konnten).
mit Sehnsucht filmen, ist schwer
Frage: Wollen Sie in Ihrem Film von der Dialektik der Aufklärung erzählen, von der Zerstörung der Natur durch Verkehr und Industrialisierung?
P.S.: Ich habe diesen Film als Fremder in einem fremden Dorf gemacht - doch es ist, glaube ich, eine gegenseitige starke Zuneigung entstanden, die
das Filmen erst möglich machte. Jeder Mensch will ja vieles, und die Gedanken in seinem Kopf können ihn sehr bedrängen - doch alles Gewollte würde das Fremdsein, die Unterschiede, die Kluft
vergrößern (auch das ist geschehen), aber ich erinnere mich an Augenblicke, Stunden manchmal, in denen ich nur schauen und horchen wollte - und da hatte ich meine/unsere Möglichkeit gefunden, mit
den Leuten zusammen ¬zu sein. An diese Augenblicke, an diese Möglichkeiten möchte ich vielleicht mit dem Film erinnern. Dass die Menschen die Natur zerstören - nicht nur die Wälder, auch ihre
eigenste Natur -, ist kein Grund, nach außen zu treten und darauf hinzuweisen, wo wir doch alle daran teilhaben.
Frage: I CIMBRI dokumentiert die Zerstörung einer Volksgruppe durch den Fortschritt. Wollten Sie in Ihrem Film die
Sehnsucht nach einer Versöhnung von Natur und Arbeit zum Ausdruck bringen?
P.S.: Ja, ich sehne mich nach einer Verbindung von Natur und Arbeit. Doch ist Sehnsucht-Haben ein recht hilfloser Zustand und es gibt so leicht
keinen Weg, da herauszufinden. Ich weiß, dass `Sehnsucht' für meine Filme eine starke treibende Kraft ist, aber ich werde da immer misstrauischer bzw. habe `Sehnsucht' immer mehr als Hindernis
erfahren, als etwas, das den klaren Blick auf die Wirklichkeit allzu leicht verstellen oder trüben kann. Man kann Sehnsucht haben, doch mit Sehnsucht filmen, ist sehr schwer.
Frage: Was hat Sie bewogen, den Ton expressiv einzusetzen? In einer Sequenz blickt ein alter Mann auf einen blühenden Baum. Zu diesem Bild haben Sie
einen Schlager geschnitten.
P.S.: Was das genannte Beispiel betrifft: Es handelt sich dabei - wie bei allen anderen Szenen - um den Originalton. Die Disco¬Musik aus dem Radio
ertönte aus dem geöffneten Fenster eines benachbarten Hauses (Leute aus Verona waren über das Wochenende in ihre Häuser eingezogen). Wenn Sie unter `expressiv' auch einige andere `harte' Schnitte
einreihen, so war es vielleicht mein Gefühl, etwas gegen meine eigene Sehnsucht zu tun, nämlich die Wirklichkeit deutlicher sprechen zu lassen, die allein nur die Sehnsucht vertreiben kann. Damit
meine ich auch die `Wirklichkeit' des Films: das Bewusstsein, dass da jetzt gerade ein Film abläuft.
nichts wird mehr so sein, wie es war
Frage: Wollten Sie durch die Abblenden, die in Negativ-Bilder übergehen, das Verlöschen der Zimbern visualisieren? Und in den Aufblenden, die von einem Negativ ausgehen, die Sehnsucht nach dem Fortbestand dieser Kultur?
P.S.: Der Negativeffekt bei den Auf- und Abblenden entstand unbeabsichtigt im Kopierwerk, bzw. handelt es sich dabei um eine Art `Nachbild' im Auge
des Betrachters, weil der Blendenuntergrund nicht tiefschwarz, sondern dunkelgrau ist (das ist ein technisches Problem bei diesen Blenden).
Frage: Wie haben die Zimbern auf Ihr Vorhaben reagiert, einen Film über sie zu drehen?
P.S.: Es war geteilt. Einige Leute haben uns gerne und oft empfangen, andere haben die Türen versperrt. Doch das Vertrauen wurde mit jedem Mal
größer, ich hatte das Gefühl, dass die Leute uns mit jedem Mal ernster nahmen.
Frage: Haben die Zimbern Ihren Film gesehen?
P.S.: Es war geplant, die Uraufführung im Albergo Ljetzan in Giazza zu machen. Berlin ist zuvorgekommen - aber Ende April wollen wir nach Giazza
fahren.
Frage: Sollte durch die Schwarzweißphotographie die gesellschaftliche Apokalypse noch stärker thematisiert werden?
P.S.: I CIMBRI ist mein fünfter Film, und ich habe bisher alle Filme in Schwarzweiß gedreht. Die Schwarzweißphotographie beinhaltet für mich alle
Möglichkeiten des filmischen Ausdrucks, ja, sie lässt dem Empfinden des Betrachters und seiner Phantasie einen größeren Freiraum. Beim schwarzweißen Bild ist es nicht so scheinbar die
`Wirklichkeit' selbst, welche sich dem Zuschauer aufdrängt, sondern es kann vielmehr das Abbild der Wirklichkeit von ihm wahrgenommen werden. Die Schwarzweißphotographie hilft also - glaube ich
-, eine neue Wirklichkeit erst in jedem einzelnen Betrachter entstehen zu lassen.
Ich wollte also mit Schwarzweiß nichts stilisieren oder verstärken - zwischen strahlend-weiß und tiefschwarz liegen doch alle möglichen Bilder -
leichte, befreiende, dunkle, bedrohende... - Für mich war es ganz natürlich, Schwarzweiß-Material zu verwenden.
Zur `gesellschaftlichen Apokalypse': Ich finde, es steht mir nicht zu, daran Kritik zu üben - was ja nur bedeuten würde, dass ich die Tatsachen von mir weise, nach außen 'schiebe'. Wir sollten vielmehr lernen, mit dem Verschwinden gewisser Phänomene oder deren Ablösung durch andere zu leben, das einfach anzunehmen.
Die Trauer ist ohnehin da, aber auch die Hoffnung, denn: Es wird nichts mehr so sein, wie es war - und das in jedem Augenblick.
sehen und hören, was vorzufinden ist
Frage: Die Zimbern sind eine sehr christliche Volksgruppe. Sollte auf ihre Religiosität auch in der Montage verwiesen werden? Der Film beginnt mit
der Fastenzeit (Aschenkreuz) und geht bis zu Mariä Himmelfahrt, Mitte August.
P.S.: Ich habe das gesammelte Material mit Ausnahme einiger weniger Einstellungen chronologisch für den Film verwendet. Es ist also kein
absichtlicher Verweis. Ich meine, dass ein tiefer Glaube und die damit verbundenen Riten die alten Gesellschaften und Lebensformen lange Zeit aufrechterhalten haben. Oftmals scheinen bloß die
Riten übrig geblieben zu sein - zu leerer Äusserlichkeit erstarrt. Doch ich meine, dass diese weit öfter mit aufrichtigem, einfachem Glauben erfüllt sind, als vielleicht mancher Skeptiker meint.
Die Berge verweisen die Menschen sehr stark in ihre Grenzen: die Wege sind steinig, die Häuser schmiegen sich an die steilen Abhänge der Schluchten.
Frage: Die Zimbern scheinen sehr wortkarge Menschen zu sein. Hat die Industrialisierung sie sprachlos gemacht?
P.S.: Ja, was den Dialekt betrifft - es sind ja nur mehr ganz wenige der Alten, die das Zimbrische spontan verwenden. Mit der alten Lebensart ist
auch diese Sprache eigentlich bereits verschwunden.
Unsere Sprachaufnahmen kamen ja hauptsächlich nur zustande, weil meine Mitarbeiterin die Leute in einem verwandten zimbrischen Dialekt anredete. Ich
spürte dann oft eine besondere Freude bei den Befragten, endlich wieder einmal ihre alte Sprache verwenden zu können, möglicherweise auch Erleichterung darüber, dass das auch geschätzt wird
(lange genug hat das Zimbrische ja als rückständig und hinterwäldlerisch gegolten).
Ich meine, dass in der kurzen Zeitspanne, seit ich Giazza kennenlernte, sich dort schon einiges weiter verändert hat. Zwei zimbrische Frauen, mit
denen wir auch gefilmt hatten, waren im Mai 1990 schon gestorben (sie zählten zu den wenigen, die wir bei unserem ersten Besuch 1988 noch auf der Straße zimbrisch reden hörten). Remigio, der im
Frühjahr 1989 noch gern in Zimbrisch erzählte, wollte im Mai 1990 nur mehr italienisch sprechen. Ein Hotel wird vergrößert, sonntags stehen noch mehr Autos aus Verona auf dem Platz, der
Bürgermeister plant, ein Mühlrad für die Touristen aufzustellen...
Frage: Wollten Sie mit Ihrem Film das Gedächtnis an die Volksgruppe bewahren? Die Schwarzweißfotographie beschreibt ein bereits zu Tode erstarrtes
Leben?
P.S.: Das war mir nicht direkt ein Anliegen. Ich habe versucht, zu sehen und zu hören, was vorzufinden war.
Frage: Für Friedrich Schiller ist in `Über die ästhetische Erziehung des Menschen' die Arbeitsteilung der Grund für die fehlende Harmonie. Schiller
schreibt: "Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus; ewig nur das eintönige Geräusch des Rades, das er umtreibt, im
Ohre, entwickelt er nie die Harmonie seines Wesens (...)." Kommt in dieser Überlegung Schillers das Grundanliegen Ihres Filmes zum Ausdruck?
P.S.: Das ist ein schönes Wort. Es mag sein, dass mein Film einiges damit zu tun hat.
Dieses Gespräch wurde im Februar 1991 geführt.
Herausgeber: Internationales Forum des Jungen Films / Freunde der Deutschen Kinemathek, 1000 Berlin 30
Redaktion: Klaus Dermutz
thanks to
Adele Dal Bosco, Antonio Fabbris, Carla Dal Bosco, Carlo Lucchi, Claudio Lucchi, Corinna Pernigotti, Elia Nordera,
Emilia Modesta Gugole, Fortunato Dal Bosco, Germano Dal Bosco, Giulia Perlati, Lino Dal Bosco, Maria Dal Bosco,
Nello di Boschi, Remigio Rozza, Romano Nordera, Silvia Rozza
an the inhabitants of Giazza / Ljetzan in Val d'Illasi
translations
Monica Pedrazza
collaboration
Maria Schreiner
scientific supervision
Maria Hornung
sound mix
Johann Wiesinger
original sound
Andreas Stern
Susanne Schreiner
film laboratory
Listo-Film, Wien
digital version
AVP München
production (16 mm)
Verein der Sprachinselfreunde, Wien
and Peter Schreiner
production (Digi-Beta)
Schreiner, Kastler
Büro für Kommunikation, Wien
realisation,
cinematography,
editing
Peter Schreiner
echtzeitfilm
1991/2005
supported by
Federal Ministry for Education, Arts and Sports
Federal Ministry for Science and Research
Tiroler Landesregierung
Kärntner Landesregierung
Dr. Friedrich Kail
Phonogrammarchiv der Öst. Akademie der Wissenschaften
Federal Chancellery, art department
available prints:
1) standard-16 mm print , optical sound, 1:1,33, black and white,
original version (italian, cimbro dialect), italian and german subtitled
(Film Collection of the Austrian Film Museum, Vienna, world distribution: echtzeitfilm)
2) 2 standard-16 mm prints , optical sound, 1:1,33, black and white,
original version (italian, cimbro dialect), german subtitled
(print 1: Film Collection of the Austrian Film Museum,
Vienna, world distribution: echtzeitfilm,
print 2: world distribution: Arsenal – Institut für Film und Videokunst e. V, Berlin, Germany)
3) standard-16 mm print , optical sound, 1:1,33, black and white,
original version (italian, cimbro dialect), english subtitled
(Film Collection of the Austrian Film Museum, Vienna, world distribution: echtzeitfilm)
2) Digital Betacam, german subtitled
(Film Collection of the Austrian Film Museum, Vienna, world distribution: echtzeitfilm)
Arbeits-Fotos
work-photos
all texts, videos, pictures, document presentations etc. may be used, as long as the origin is marked by a link to www.echtzeitfilm.at
and no commercial aim is pursued.