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BLAUE FERNE (BLUE DISTANCE)
Austria 1993-1995 / 16 mm / black and white / 1:1,33 / running time: 95 min / optical sound
original version german, english subtitles
cast: Hubert Sauper, Dita Lakota and others
assistance: Viktor Jaschke
sound: Andi Stern
cinematography: Elke Harder
concept, realisation, editing, production: Peter Schreiner
supported by: Federal Ministry for Education, Arts and Sports,
City of Vienna administration, cultural department,
Land Kärnten-Kultur
world distribution: echtzeitfilm
International Film Festival Rotterdam 1995 (International
Premiere)
International Film Festival Riga „Arsenals“ 1996
Lendwirbel-Festival, Graz 2011
Freies Kino im Künstlerhaus, Wien 2011
Film Archiv Austria Retrospektive 2022 / Vienna, Austria
eine Reise, die durch alle Gefahren führt
Der Akt des Sprechens / der Liebe lässt Wirklichkeit entstehen. Die Suche nach Beweisen für eine Wirklichkeit / für eine Liebe findet
mit dem Filmapparat statt. Eine Reise, die durch alle Gefahren führt. Die Kamera nimmt einfach auf. Die Darsteller und die Betrachter sind einfach da. Und die Darsteller treten vor die in der Zeit laufende Kamera wie vor ein Objekt dieser verbindlichen Wirklichkeit.
Alles geschieht erst vor der Kamera. Auch der Text geschieht erst vor der Kamera. Und indem die Darsteller / die Betrachter den Text geschehen
lassen, geschieht etwas, geschieht ihnen etwas.
(Peter Schreiner)
a journey that leads through all dangers
The act of speaking / of love creates reality. The search for evidence of a reality / a love is perfonned by means of the camera. A journey that leads through all dangers. The camera merely shoots. The actors and the beholders are simply there. And the actors step in front of the shooting camera just as though it were an object of this embracing reality. Everything happens in front of the camera. Even the text happens in front of the camera. Since the beholders let the text happen, something happens, happens to them.
(Peter Schreiner)
Film als Sprache
Peter Schreiners Film Blaue Ferne ist ein seltenes und schmerzlich vermisstes Beispiel auch dafür, dass Film Sprache ist, die wesentlich in Bildern und in Tönen spricht und die deshalb nicht jener Krücken oder Ausschmückungen bedarf, die das traditionelle Kino bereithält, im falschen Glauben daran, durch Misstrauen und Ignoranz zu überleben. Es geht nicht um Was sondern um Wie. Peter Schreiners Sprache ist aufmerksame, geduldige, notwendige Sprache, an ihr ist nichts zuviel, die Information liegt in ihrer Struktur. Peter Schreiner ist Realist (wie etwa, unter anderen Gegebenheiten, Roberto Rosselini einer war), er versucht nicht, uns etwas vorzumachen, zu zeigen. Seine Filme illustrieren und repräsentieren nichts, sie sind sie selbst. Insoferne ent-täuschen Peter Schreiners Filme. Sie rechnen nicht mit den trügerischen Ansprüchen konditionierter Zuschauer, sie beuten Ohnmacht nicht aus. Sie laden zur Begegnung ein, zur gemeinsamen Erfahrung eines so nahen (Franz Blei!) und doch vielfach unbekannten Raumes. Blaue Ferne ist - in der besten Tradition des kinematographischen Handwerks -auf Wesentliches reduzierte Form. Sie spiegelt Bewegung, Raum und Zeit gleichermaßen verlangsamend wie verdichtend und eröffnet - in der Projektion - Erfahrungen von überraschender Wahrhaftigkeit und Tiefe.
(Michael Pilz, Wien, 8. Oktober 1994)
film as language
Peter Schreiner's new film Blaue Ferne is a rare and badly missed example of the fact that film is language, whose
essential e means of expression are pictures and sounds and which thus can do without the kind of crutches and embellishment that
characterize the traditional cinema; fallaciously believing that distrust and ignorance guarantee survival. The
point is not what to show but how. Peter Schreiner's language is attentive, patient and necessary, devoid of sophistication. The information is
conveyed in the structure.
Peter Schreiner is a realist (Iike Roberto -Rosselini was, although under different circumstances). He does not endeavour to simply show us something, to fool us. His films Grelles Licht, 1982; Erste Liebe,1983; Adagio, 1984;
Kinderfilm, 1985; Auf dem Weg, 1986·90; I Cimbri, 1991 and now Blaue Ferne do not illustrate or represent anything, they stand for
themselves.
Insofar Peter Schreiner's films are "disillusioning".
They do not take into account the fallacious expectations of conditioned spectators, they do not exploit
powerlessness.
They invite to an encounter, a mutual experience of a tremendously close (Franz Blei!) though unfamiliar
space.
In line with the best cinematographic tradition , Blaue Ferne is reduced to the essential form.
This form reflects motion, space and time, both retarding and condensing them and discloses - on a projecting plane - experiences
of surprising veracity and depth.
(Michael Pilz, Vienna, October 8th, 1994)
das Geheimnis in den konkreten Dingen
Der im Filmentwurf enthaltene Text ist als fester Bestandteil unseres Projektes anzusehen, mehr im materiellen als im abstrakten Sinn:
es existieren zwei handgeschriebene Textbüchlein (jeweils der Text für den jungen bzw. für den älteren Mann), die wir gleichsam als "Filmrequisiten"
auf die Reise mitnehmen wollen.
Wir werden versuchen, vom einfachen Lesen des Textes auszugehen und von da her einen Weg zu suchen hinein in die unmittelbare, zum Zeitpunkt des
Filmens verbindliche Wirklichkeit.
Bei dem Entwurf handelt es sich um den Versuch, die Herstellung eines dokumentarischen Films in einer lesbaren und erlebbaren
Form anzudeuten, jedoch unterbleibt es in jeder Hinsicht, den Film, nämlich Bild, Ton, Montage vorwegzunehmen, zu fixieren, absehbar zu machen. Jene wenigen
"Bilder", welche ich versucht habe, zu beschreiben, mögen Sinneseindrücke sein, wie sie sich einem jeden von uns darbieten, wenn wir etwa zu einem Fenster hinausschauen, oder eine Straße
entlanggehen usw.
Sie sollen (auch mir selbst und den Darstellern) eine Hilfe sein, das Geschriebene als FILM zu erahnen. Denn das Geschriebene wird
erst zum Leben erwachen durch den Atem und die Stimmen der teilnehmenden Personen, durch seine Konfrontation mit der wirklichen Situation, der äußeren wie der inneren. Der Film, also, der Ablauf
der Bilder und Töne, soll erst als Folge des Entwurfs, der Darsteller, der übrigen Mitarbeiter, von Zeit und Ort und "Weltgeschehen" entstehen - das betrachte
ich als eine Grundvoraussetzung, wollen wir doch vor allem mit den INNEREN UND ÄUSSEREN WIRKLICHKEITEN arbeiten (und das sind jene Wirklichkeiten, die
VOR DER LAUFENDEN KAMERA tatsächlich existieren). Kamera und Ton diese Wirklichkeiten wahrnehmen zu lassen, also zum richtigen Zeitpunkt, in geeignetem Abstand, Winkel und Licht die Apparate
"schauen" und "horchen" zu lassen, das wird unsere Aufgabe sein. Und wir können dieser Aufgabe nur gerecht werden, wenn wir alle Vorstellungen verlieren, alles Vorgefasste hintanstellen zugunsten
dessen, WAS WIRKLICH IST, zugunsten unseres eigenen ungebrochenen HIER-SEINS.
So ist der Entwurf als Versuch zu verstehen, sich dem komplexen "Thema" unserer Arbeit, nämlich ANGST UND SEHNSUCHT anzunähern. Die Reise mag ein
Bild sein für das Davonlaufen vor der Angst, bzw. für das Nachlaufen nach einer Sehnsucht. Die Darsteller selbst versuchen ja bereits, unabhängig vom Filmprojekt, diese Angst, diese Sehnsucht zu
"bearbeiten". Dita schreibt Gedichte über seine "alltäglichen" Gefühle und Erlebnisse - und Hubert dreht Filme, in denen seine Sehnsucht zum Ausdruck kommt.
Hubert, der junge Mann, trägt seinen Blick oft nach vorn, geradewegs in die Zukunft hinein, die ihm dann eine hellglänzende ist, vielleicht mit der
Hoffnung auf eine Revolution der Gerechtigkeit - Dita, der Ältere, ist mehr im Jetzt, vieles nicht bewältigend - und sein Blick ist gesenkter, wenngleich die Augen leuchtend sind - die Zukunft
scheint ihm greifbarer, doch auch bedrohlicher:
in fünf Jahren werde es Krieg geben, meint Dita, und bis dahin möchte er mit seiner Familie in Afrika sein -
Die Darsteller sind also eingeladen, VOR DER KAMERA ZU SEIN, ihre eigene Existenz VON SELBST zur Darstellung gelangen zu lassen, den "fertigen" Text
sollen sie nicht interpretieren, er steht neben ihnen, zwischen ihnen, in ihnen, beinah so, wie ein weiterer Darsteller etwa. Es mag die Stimme eines unsichtbaren Autors sein und
Deckungsgleichheit wird es nur für Augenblicke geben.
Doch das Hervorbringen des Textes in neuen, noch unbekannten Situationen wird neue, noch unbekannte Bilder in uns wachrufen, und diesen wollen wir
versuchen zu folgen. Der Rhythmus der Texte zusammen mit dem Wechsel der Schauplätze und den inneren und äußeren Bewegungen der Personen werden den Ablauf unserer gemeinsamen Arbeit bestimmen,
d.h. eine chronologische Abfolge von Bild- und Tonmaterial entstehen lassen, aus welchem die Montage dann durch Verdichtung eben diese gelebte (innere und äußere) Bewegung für den Betrachter neu
erlebbar machen soll. Wir haben die Aufgabe, die besten Bedingungen dafür zu schaffen, damit SELBST DIE AKTION DES FILMENS in unserem Leben etwas bewegen wird können - und das wird Garantie dafür
sein, dass der unvoreingenommene Betrachter von dieser Bewegung ergriffen wird.
Gemeinsam werden wir versuchen, Zeitpunkt und Ort zu finden. Elke Harder und ich werden versuchen, den BLICK zu finden,
wobei wir nach keinerlei "Rezept" verfahren wollen. In Gesprächen sind wir bisher zur Ansicht gekommen, dass es sowohl fixe Stativaufnahmen als auch bewegliche
Hand-Aufnahmen geben wird.
Obwohl das Konzept ja grundsätzlich lautet: "wir bleiben in der Nähe", soll auch der Raum bzw.
die Landschaft mit einbezogen werden (und das nicht nur durch die zweite, kleine Kamera, die Hubert in seinem Handgepäck mitnehmen wird). Wir wollen uns dabei aber hauptsächlich auf ein
gemeinsames, eher UNBEWUSSTES Entscheiden verlassen - unbewusst, damit meine ich: ein Entscheiden IM AUGENBLICK, auch hier ohne den Versuch einer Interpretation (auf die selbe Weise, wie die
Darsteller mit dem Text umgehen wollen), - also eine intuitive, ZWISCHENMENSCHLICHE Form der Distanz oder Annäherung, des Mit-getragenseins oder der zurückgezogenen Beobachtung - und das mit der
Filmkamera. Die Stativaufnahmen werden das VERGEHEN DER ZEIT stärker verdeutlichen, gleichzeitig eine Art "Entspannung" zulassen.
Die beweglichen Hand-Aufnahmen werden die Mechanik des Filmens durchbrechen, plötzlich und "subjektiv" eingreifen, mit dabei sein, letztlich auch
die Person hinter der Kamera spürbar werden lassen.
Und wieder soll uns die Reise in eine südlichere Landschaft führen.
Dorthin, wo als jüngerer Mensch sich meine Sehnsucht gerichtet hat (bisweilen geschieht das noch heute), eine Sehnsucht nach größerer
Übereinstimmung von Innen und Außen, nach einer mehr direkten, unmittelbaren, erfüllten Existenz. Und bei noch jeder dieser Reisen (sie führen mich immer an dieselben Orte, in die selben sanften
Täler, in die selben steinigen Städte) habe ich diese Sehnsucht als unstillbar empfunden, wie wenn, aufgrund meines Wesens, meiner Herkunft und Geburt, der Pfeil stets sein Ziel verfehlen
müsste.
Genau das aber ist auch der Punkt in unserer gemeinsamen Arbeit:
wir wollen versuchen, uns in die BLAUE FERNE zu begeben - mitten hinein in diese Sehnsucht (vielleicht ist es auch die Sehnsucht des nördlicheren
Menschen nach südlicher Wärme und Lebensart, nach offenem, unmittelbaren Umgang mit dem Nächsten, aber auch nach einer direkten Umsetzung von Zuneigung und selbst Aggression) - und wir wollen uns
prüfen, wie weit wir da gehen können, wie weit wir unsere Sehnsucht wohl LEBEN können. Freilich: dann wird sich diese Sehnsucht verwandeln, wird ihren angestammten Ort verlassen, wird in neue
Gegenden übersiedeln - es wird wohl ein anderes Sehnen in entstehen - vielleicht nach etwas, das wir Heimat, Herkunft, Geburt nennen könnten, vielleicht - und das könnte eine entscheidende
Phase in unserer Arbeit sein (im Entwurf ist dieser Zeitpunkt angedeutet durch die Umkehr Richtung Norden) - eine Sehnsucht, stark und unbezwingbar, nach unserer eigensten Geschichte, nach uns
selbst, unverschüttet, unverborgen, frei, ohne Angst, ausgesetzt dastehend in einem grellen Lichtschein vielleicht - nackt: wir selbst.
Die Wirkung dieses noch in der Zukunft verborgenen Films auf den Betrachter wird begründet sein in unserer gegenseitigen Zuneigung und in der
Zuneigung zu unserer eigensten Existenz, zur Welt, zur Lebenszeit.
An dieser Stelle möchte ich die Namen zweier Filmautoren erwähnen, deren so verschiedene Arbeiten mir vorbildhaft erscheinen: Pier Pasolini, Jonas
Mekas. Vorbildhaft in der ganz besonderen Art, an die Menschen und die Welt sich anzunähern:
wenn Pasolini das Bild eines Menschen zeigt, so demonstriert er damit immer auch seine Liebe zu diesem Menschen. Ebenso der "Underground-Filmer"
Mekas: er begleitet seine engsten Freunde durch ihr Leben, manchmal sogar bis zu deren Tod, und jeder Blick seiner kleinen Kamera drückt seine liebevolle Zuneigung aus, freut sich über das Dasein
des Anderen, ist Bestandteil einer tiefen Beziehung des Filmenden zu der ihn umgebenden Welt, wenn auch oft nur für "Augenblicke".
Was den Umgang mit der "äußeren" Form des Films betrifft, so wollen wir uns erst einmal vertrauensvoll in die "Hände" der "reinen
Filmtechnik" begeben - jenes Appararates, der es vermag, Abbilder der Wirklichkeit anzufertigen, auf eine Weise, dass kein Mensch mehr im Augenblick etwas dazutun braucht - und der es weiter
vermag, diese Abbilder dergestalt wiederzugeben, sie auf uns einwirken zu lassen, dass wir in uns eine NEUE Wirklichkeit erfahren können (sozusagen eine Welt, die uns mit "bloßem" Auge verborgen
bliebe). Und dieses Geheimnis offenbart uns die Filmtechnik im besonderen Maß, wenn wir sie möglichst "von selbst" arbeiten lassen, d.h., wenn wir vertrauen auf die Qualität der Mechanik, die
imstande ist, zu registrieren, ohne zu werten. Kino als ein vom Menschen geschaffenes "Weltuhrwerk", nach Naturgesetzen arbeitend, kann den Atem der Welt erfahrbar machen, freilegen, kann einen
Lichtstrahl werfen mitten hinein zwischen die Handlungen, Gedanken und Gefühle der so oft verwirrten, in ihrer "Subjektivität" befangenen
Menschen.
Das heißt nun aber nicht, dass ich glaube, es sei ein "objektives" Bild etwa möglich, oder es sei überhaupt förderlich und erstrebenswert - ganz im
Gegenteil: wir werden unsere eigensten Möglichkeiten finden, mit diesem Instrumentarium der Objektivierung zu arbeiten, bzw. es für uns arbeiten zu lassen.
Die Handaufnahmen mit der Tonkamera und die Aufnahmen der kleinen Federkamera werden ganz ausdrücklich "Blicke" sein, entsprechend ihrer Entstehung
ruhig, unruhig, von außen oder innen, bewegt, sprunghaft wechselnd, "höchst subjektiv" in der Auswahl und sicher fast gänzlich augenblickshaften Stimmungen unterworfen. Jedoch selbst diese
"beweglicheren" Elemente gelangen letztendlich zu einer starken Abstraktion (umso mehr, da wir ja auf 16 Millimeter-Schwarzweiß-Material drehen), auch durch sie lernen wir, die Welt und uns
selbst aus einer - nicht nur räumlich - zeitlichen - Distanz zu betrachten:
das Flimmern, das Korn, das Fehlen der Raumdimension, der "Kader", das Fenster, welches begrenzt ist von Dunkelheit - ausstrahlend in ein lichtloses
All geradezu.
In jenen glücklichen Augenblicken, in denen dieser Film in seiner Gänze vor mir sichtbar zu werden scheint, liegt dem meistens EIN starkes Gefühl
zugrunde: wir wollen etwas schaffen jenseits aller Eitelkeit, Überheblichkeit und Gewalt. Das Instrumentarium muss völlig ENTMACHTET werden, um die Beziehungen der Personen und Dinge
untereinander nicht von äußerlichen Gegebenheiten abhängig werden zu lassen (dazu gehört auch ein sparsamer, auf das Notwendige beschränkter Umgang mit den Produktionsmitteln). Und wir wollen dem
Mechanismus des Filmapparates vertrauen, bewegt und getragen von warmherzigen, SANFTEN Personen.
Schon die Motive zu meinen ersten Filmen reichen zurück in die frühen Kinderjahre, zurück zum Spielen, zum unbefangenen Mitteilen, zum
Sich-Verlieren in einem Augenblick der Freude. Heute habe ich das große Glück, das mit meinen Kindern wieder zu erleben, es als tägliche Herausforderung an mein eigenes Leben vor Augen geführt zu
bekommen. So dass ein großer Wunsch bleibt: mit dem Film die Welt so sehen zu lernen, wie man sie als Kind gesehen hat.
p.s. :
vor kurzem ist mir ein Buch mit "Notizen" von Jean Cocteau
in die Hände gekommen. Einige Sätze möchte ich Ihnen hier noch wiedergeben:
"jedes andere Vehikel des Denkens wie etwa das Schreiben, würde mich, man errät es, zu einer Kontrolle durch die Intelligenz verpflichten, während
der Film es erlaubt, ein Werk zu leben statt zu erzählen und darüber hinaus das Unsichtbare sichtbar zu machen.
so große Fehler machen, dass sie aufhören, Fehler zu sein -
es kommt darauf an, den Text unsichtbar zu machen
je mehr manuelle Arbeit ich habe, desto lieber glaube ich, dass ich an irdischen Dingen teilhabe, und desto mehr bemühe ich mich um sie, wie man
sich an ein Treibgut klammert. Deswegen habe ich mich an den Kinematographen gehalten, bei dem jede Minute Arbeit ist und mich vor der Leere abhält, in der ich mich verliere.
... das Geheimnis existiert nur in den konkreten Dingen."
(Peter Schreiner, Jänner 1993)
Text als Musik
Ich versuche mit meiner Arbeit zu leben und die Filme aus meinem Leben heraus "wachsen" zu lassen - und Film ist für mich eine Form des Sprechens,
des Sich-mitteilens, des "inneren Dialogs" mit dem Betrachter.
Erst die "Antwort" des Betrachters, der den Film zu sich sprechen hat lassen, erweckt das Kino zum Leben, ja rechtfertigt erst seine Existenz. Und
so möchte ich, dass der Betrachter nicht beeindruckt ist, sondern behutsam hin zu einem möglichen Dialog geführt wird.
BLAUE FERNE will zweifach mit dem Betrachter ." sprechen" : durch die Wirklichkeit, welche die Kamera aufzeichnet, und durch die Idee des
gesprochenen Wortes.
Es handelt sich also um ein "aktionistisches, dokumentarisches Kino-Experiment", um eine Auseinandersetzung meiner Innenwelt mit dem unmittelbaren
Jetzt (der Zeitpunkt nämlich, an dem der Film gedreht wird) und den inneren und äußeren Wirklichkeiten der beiden männlichen Hauptdarsteller, ob das nun Distanz sei, Identifikation, Meditation,
Zerstörung oder Ergänzung, Abwendung oder Zuwendung zum Text - das alles soll der Film umfassen.
Der Entwurf geht von meiner eigenen Angst aus, die - wie ich meine - eine Angst ist, welche eine ganze Generation betroffen macht und mit welcher
der Einzelne im Grunde nicht leben kann.
Doch nur im gegenseitigen Vertrauen können wir leben und uns entfalten - wir können das jeden Tag an unseren Kindern lernen. Und das ist nicht nur
unser eigentliches "Thema", sondern bezeichnet auch die Art und Weise, wie dieser Film entstehen soll: aus der Zeit und den Umständen heraus und mit der - ich weiß das wohl - großen
Herausforderung der Offenheit aller Beteiligten.
Eben diese sehr ernsthafte, ja bedrohliche, doch lebensentscheidende Arbeit, mit den Mitteln des Dokumentarischen die Innenwelt des Einzelnen (in
diesem Fall meine Innenwelt, die ja, wie ich glaube, für andere "Einzelne" durchaus erfahrbar sein kann) in Frage zu stellen bzw. eine Entsprechung, etwas Gegengleiches, in der äußeren
Wirklichkeit aufzuspüren.
Nur als Musik ist der Text zu verstehen - und er gibt, wie ein Musikstück, Stimmungen, Gefühle, Rhythmen vor, doch eben nur auf dieser Ebene, die
ich als "musikalische" bezeichnen würde, weil sie ja auch von menschlichen Stimmen (Stimmungen) getragen wird, durch sie erst erfahrbar wird.
Bedrohlich - auf eine reinigende Art jedoch - ist ja auch die Vorstellung, dass eine so sehr in sich selbst gekehrte Sicht der Wirklichkeit- dieser
"äußeren", verbindlichen, zum Beispiel auch von der Filmkamera erfassbaren Wirklichkeit, nicht standhalten könnte, unterliegen müsste, ohne womöglich mit ihr in Verbindung zu treten. Doch dieses
Risiko wollen wir eingehen, ja es macht geradezu den Film aus.
Wird Nähe möglich sein, zu sich selbst, zur eigenen Kindheit, zum Anderen, der gegenüber sitzt, zur ständig sich fort-verändernden
"Wirklichkeit"?
Werden wir als Kinder in dieser Welt bestehen können? Wie stehen wir zu unserer Angst, zu unserem eigenen Tod - oder müssen wir nicht andauernd Wege
suchen, diese zu verdecken, zu vergessen, zu unterdrücken, um überhaupt weiter leben zu können?
(Peter Schreiner, 1992)
Wir haben mit dem einfachen Lesen begonnen.
Jeder Darsteller liest seinen Text, wir hören die Stimmen, die des Anderen, die eigene Stimme. Hubert liest aus dem handgeschriebenen
Büchlein, Dita zieht es vor, aus dem Drehbuch zu lesen. Alles beginnt in einem ziemlich raschen Tempo, besonders bei Dita. Hubert ist anfangs etwas bedächtiger, stockt hin und wieder, wiederholt
auch einige Sätze langsamer. An manchen Stellen bekomme ich das Bedürfnis, zu erzählen, welches Erlebnis, welches Gefühl den Texten zugrunde liegt. Und tue das auch einige Male. Dita liest rasch,
lässt sich von seiner eigenen Stimme tragen. Ich bekomme das Gefühl, dass er "für jemanden" liest - und versuche ihm das mitzuteilen. Wir werden ganz langsam, versuchen, auf den Klang der
einzelnen Wörter zu horchen, wir lesen jetzt Wort für Wort, lassen auch manchmal ganze Sätze weg - bekommen Sicherheit darin, werden wieder wendiger und rascher. Wir bemerken, dass wir so viele
"automatische" Bewegungen machen beim Lesen, oft huschen sie wie ein Schatten über die Gesichter.
Langsam, langsam lernen wir, sie aus eigener innerster Bewegung zum Verschwinden zu bringen - oder zu vergessen - Wir versuchen auch nicht, uns auf einen Gedanken zu konzentrieren - im
Mittelpunkt steht ja die einfache Tatsache: wir sind DA- wir sitzen hier und jetzt an diesem Tisch und lesen - einen Text, und: es ist nicht "unser" Text - zumindest nicht von Anbeginn an, all
das muss erst langsam erarbeitet werden.
Da sagt Hubert: "Jetzt ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, weil ich begonnen habe, das LAUT zu sagen, weil ich begonnen habe, das, was Du aufgeschrieben hast, laut zu sprechen" - Dita raucht,
er ist angeregt, er lächelt.
Und jetzt haben wir eine Stelle erreicht, an der ich dann meine: "versucht doch hier gleichzeitig zu lesen! - nach einem zögernden Beginn entwickelt sich bald eine beinah rhythmische Musik aus
den beiden so verschiedenen Stimmen. Und wir erleben manche - bis dahin nie gehörte - Ergänzung, Übereinstimmung, und manchen abgrundtiefen Widerspruch. Am Ende ist es für alle ein
Erstaunen.
Ein neuer Anlauf kann genommen werden. Die Stimmen stehen wieder allein da, jeder für sich - und das bringt wieder eine Unsicherheit ins Spiel. Leere Formen
beginnen sich in den Gesichtern abzuzeichnen, wir geraten in eine Art Abwesenheit - wir werden langsamer, diesmal ganz langsam: ich erzähle von meinem kindlichen Spiel, einzelne Wörter so langsam
und so oft mir vorzusagen, bis diese in ihre Bestandteile sich auflösen und bar jeden "Inhalts" nachklingen. Wir lesen jetzt ganz langsam und der Text beginnt vor unseren Ohren zu verschwinden.
Wie in Wellen geht es dahin - und bald kommen - beinah unmerklich - wieder die Betonungen zurück, bald formen sich die Silbenklänge langsam wieder zu einem Sinn - zu einem möglicherweise
"dahinter" stehenden Begriff, abstrakt, kälter als gerade vor kurzem noch. Der Text fällt von uns ab, wird erst ungreifbar, dann bedeutungslos, fern, vielleicht auch feindlich, unserem Leben -
hier und jetzt an diesem Tisch.
Wie können wir alle Empfindungen "auftreten" lassen, ohne sie den Wörtern, den Sätzen aufzuladen, ohne den Text, der ja nicht "unserer" ist, zu deuten, auszulegen? In der Pause jetzt sprechen wir über die Möglichkeiten einer "Meditation" - den Text immer kleiner werden zu lassen, zarter, durchscheinender - bis hin zu einem möglichen Schweigen. Das wäre dann ein Schweigen "aus dem Text heraus".
Und unsere eigenen, ganz neuen, überraschenden, unvorhersehbaren Empfindungen, hier und jetzt, beim Lesen DIESES Textes? Ohne jeden äußeren Druck
wollen wir sprechen und das Schweigen zulassen, unsere eigenen Gedanken in den Pausen aufnehmen, oder besser: nach diesen "Assoziationen" und Empfindungen handeln lernen, etwas tun, das tun, was
uns jetzt am nächsten ist. Das Sprechen kann dazu führen, unsere innersten Bewegungen ans Licht zu bringen - uns selbst zu diesem Zeitpunkt hierher zu bringen, später dann, im Licht eines noch
unbekannten Tages, wieder ganz neu, vor eine laufende Filmkamera.
Und wir versuchen gleich, etwas davon umzusetzen. Ein Ausdruck ist jetzt im Sprechen, der anders ist, als jener mehr "automatische" zu Beginn. Die Pausen werden länger und geruhsamer, mehr voll
Vertrauen. Hubert erzählt einmal eine kleine Geschichte, von seinen Eltern, aus seiner frühen Kindheit. Und Dita lässt manchmal ein Wort, einen Satz hören, der im Text nicht
vorkommt.
Der Text ist ja nur EINE Gegebenheit von vielen, ist gleich stark neben unseren innersten Empfindungen, dem "Geschehen" um uns herum,
neben Zeit, Licht, Wohlbefinden, Übelkeit, Hingezogen- und Fortgestoßen-Sein. Unser Zusammensein jetzt soll nicht dazu dienen, einen Ausdruck etwa zu finden, der geeignet erscheint, später vor
der Filmkamera reproduziert zu werden. Vielmehr lernen wir, darin immer stärker ein gegenseitiges Abtasten und in der Folge einen DIALOG zu sehen, den Versuch einer Annäherung aller Beteiligten
und ein Vertraut werden mit den Gegebenheiten, die zu keinem Zeitpunkt wirklich ganz die selben sind.
Haben wir dann eine Möglichkeit gefunden, mit einer Textstelle "umzugehen", so kann es - das sehen wir jetzt - nur von Vorteil sein, diese rasch wieder zu vergessen um im selben Augenblick zu beginnen, nach einem neuen Zugang zu suchen - ohne jede Technik, ohne Krücke, ohne das Absehbare - es geht nur mit UNS.
Wir lesen weiter, einander an uns selbst erinnernd - Dita beginnt diesmal ganz entschlossen und mit einer großen, tiefen Zuneigung zu uns und zur
Arbeit. Und es geschieht - an einer Textstelle, an der es niemand von uns erwarten konnte - dass er einen Satz liest, der beschreibt, was gerade jetzt wirklich vorgeht. Jedoch werden wir müde
jetzt, und langsam - meine ich, aus dem Sprechen einen Gleichklang, in der Folge dann eine Art Monotonie herauszuhören.
Wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir das Gefühl haben, wie gelähmt zu sein, nichts mehr TUN zu können. Augenblicke lang scheint es, als
stünden wir wieder ganz am Beginn, ausgeliefert geradezu der Vergangenheit, die in diesen Worten steckt, ratlos unterworfen all dem, was der Text je einmal bedeutet haben könnte - Die ersten
Erfolge des Aufbrechens, des Sich-Öffnens vor dem jeweils anderen, des Gelingens einer Art von Bedenkenlosigkeit, des Verlierens jeder Furcht vor dem, der da gegenüber sitzt - haben uns müde
werden lassen. Unser Streben nach Innen hat sich verkehrt in Leere, Automatismus und Ratlosigkeit und in ein ganz anderes Schweigen- das Dita plötzlich unterbricht: "da fällt mir ein Gedicht ein
.. " und diese Worte Ditas, an jener Stelle, zu jenem Zeitpunkt vorgebracht, erreichen eine Intensität an Ausdruck, der ich mich nicht entziehen kann.
Wir können etwas TUN. Wir sind, so glaube ich mich zu erinnern, jetzt eben auf dem Weg, Ditas eigenste Sprache, seine eigenste Stimme zu finden, und
die Freiräume sehen zu lernen, die uns diese Arbeit geben kann.
Bald wollen wir versuchen, das Sprechen der Texte immer stärker auch in Bewegungen umzusetzen.
Von den inneren Bewegungen, die in den sich zunehmend öffnenden Gesichtern sich spiegelten. ist es - so meine ich - nur mehr ein SCHRITT hin zur
Bewegung im Raum, zum Verharren in einer Körperstellung, zum Weggehen, zum Näherkommen, zu einer Berührung, ohne Scham, ohne Zwang, ohne Peinlichkeit, weil nichts zu verlieren und nichts zu
verschweigen sein wird.
(Peter Schreiner, 1992)
cast
Dita Lakota
Hubert Sauper
Erica de Grassi
Giacomo Verginella
Mario Tesseri
Leo Schreiner
assistent
Victor Jaschke
sound recording and mixing
Andreas Stern
cinematography
Elke Harder
editing
Peter Schreiner
written and directed by
Peter Schreiner
special thanks to
Michael Pilz
Ortwin Keil
Maria Schreiner
Sergio Marin
Familie Gasser
Familie Sauper
interpreter
Hubert Sauper
stills
Victor Jaschke
original negative
Kodak Eastman 7222 Double-X
shooting-Iens
Zeiss 1,3 25mm
laboratory
Slovenskä Televizia, Bratislava
Listo Film, Vienna
original version
16 mm 1 :1,33
black and white
optical sound
length
1044 m
running time
95 min. (24 (f/s)
shot in Grado, Italy, October 1993
completion September 1994
production and copyright
Peter Schreiner Filmproduktion
A-1190 Wien, Grinzinger Allee 37a
supported by
Federal Ministry for Education, Arts and Sports
City of Vienna administration, cultural department,
Land Kärnten-Kultur
available prints:
1) standard-16 mm print , optical sound, 1:1,33, black and white,
original version (german), english subtitles
(Film Collection of the Austrian Film Museum, Vienna, world distribution: echtzeitfilm)
2) Beta SP, english subtitles
(Film Collection of the Austrian Film Museum, Vienna, world distribution: echtzeitfilm)
Arbeits-Fotos
work-photos
(Viktor Jaschke)
all texts, videos, pictures, document presentations etc. may be used, as long as the origin is marked by a link to www.echtzeitfilm.at
and no commercial aim is pursued.